Die Rückversicherung von Katastrophen: Geschäft und "Politics" von Rückversicherern in Zeiten von Klimawandel und Finanzialisierung
Sebastian Kohl
DFG-Projekt: 521230583
Rückversicherer versichern Direktversicherer gegen übermäßige Verluste, indem sie Risiken über den gesamten Globus streuen und so die direkte Schadens- und Lebensversicherung ermöglichen. In jüngster Zeit ist diese wirtschaftliche Hintergrundfunktion in den Mittelpunkt des Medieninteresses gerückt, da der Anstieg der Rückversicherungsprämien oder sogar der Rückzug aus Märkten, die dem Klimawandel zu stark ausgesetzt sind, ganze Gebiete und Branchen unversicherbar gemacht hat. Rückversicherer sind aufgrund ihrer globalen Ausrichtung auf Schadenexzesse in einer einzigartig exponierten Position, Klimakatastrophen dokumentieren zu können, während sie selbst durch Katastrophenanleihen und Finanzinvestitionen zunehmend mit den Finanzmärkten verflochten sind. Dieses Projekt zielt darauf ab, die oft verborgenen Finanzgiganten im Rückversicherungssektor aufzudecken, um zu verstehen, wie sie auf den Klimawandel und Finanzialisierungsprozesse reagiert haben. In einem ersten Arbeitspaket wird daher vorgeschlagen, eine neue Datenbank mittels Rückversicherungsaufsichten und Unternehmensberichten aufzubauen, um die wichtigsten langfristigen internationalen Trends des Rückversicherungssektors aufzudecken und quantitativ zu beschreiben. Dies umfasst die wichtigsten Dimensionen des operativen Geschäfts der Rückversicherer, der Finanzinvestitionen und der Performance öffentlicher Aktien im Lichte zunehmender Katastrophenschäden. Damit wird die Grundlage für ein besseres qualitatives Verständnis der Reaktion der Rückversicherer auf den Klimawandel und den Druck zur Finanzialisierung geschaffen. In den Arbeitspaketen 2 und 3 werden dann die internen Prozesse der beiden größten Rückversicherer der Welt, Swiss und Munich Re, durch Interviews, Archivarbeit und process-tracing näher beleuchtet, um zu verstehen, wie diese Akteure mit dem Klimawandel und der Finanzialisierung umgegangen sind. Arbeitspaket 2 wird beschreiben, wie die Unternehmen ab den 1970er Jahren auf klimabezogene Anomalien stießen, interne Risikoabteilungen aufbauten und - anders als die Ölindustrie - bald mit ihren Erkenntnissen aus Verluststatistiken an die Öffentlichkeit gingen. Es wird der Frage nachgehen, wie die Unternehmen epistemisch, aber auch betriebswirtschaftlich auf diese Erkenntnisse reagierten. Arbeitspaket 3 wiederum wird sich mit dem parallelen Prozess der Finanzialisierung befassen: Wie wurden die beiden großen Unternehmen zunehmend abhängig von Katastrophenanleihen, die auf den Finanzmärkten verkauft wurden, und von Investitionseinnahmen, um Katastrophenschäden aufzufangen? Wie haben sie selbst versucht, die Finanzmärkte durch die Unterstützung von Mikroversicherungen gegen Klimarisiken in Ländern des Globalen Südens zu erweitern? Insgesamt zielt das Projekt darauf ab, einen Beitrag zu den Debatten in der Finanz- (und Versicherungs-) Soziologie, zu Business-Power-Ansätzen und zur Klimasoziologie zu leisten, die alle dazu tendieren, den großen Rückversicherungssektor zu ignorieren.