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Jenseits der Wahlen. Sieben Trends, die die Innen- und Außenpolitik der USA prägen werden

Viele politische Entscheidungsträger in Deutschland und anderen EU-Staaten dürften darauf hoffen, dass die transatlantischen Beziehungen nach den bevorstehenden US‑Präsidentschaftswahlen am 3. November wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen, falls der Demokrat Joe Biden gewinnt. Allerdings wird der innen- und außenpolitische Handlungsspielraum des amerikanischen Präsidenten auch von langfristigen und strukturellen Entwicklungen bestimmt, die über die nächsten (und übernächsten) US-Wahlen hinauswirken. Sieben Trends sind in dieser Hinsicht besonders rele­vant. Zusammen betrachtet verdeutlichen sie, dass außenpolitische Anforderungen und innenpolitische Ressourcen in den USA zunehmend auseinanderklaffen.

News vom 15.10.2020

Viele politische Entscheidungsträger in Deutschland und anderen EU-Staaten dürften darauf hoffen, dass die transatlantischen Beziehungen nach den bevorstehenden US‑Präsidentschaftswahlen am 3. November wieder in ruhigere Fahrwasser gelangen, falls der Demokrat Joe Biden gewinnt. Allerdings wird der innen- und außenpolitische Handlungsspielraum des amerikanischen Präsidenten auch von langfristigen und strukturellen Entwicklungen bestimmt, die über die nächsten (und übernächsten) US-Wahlen hinauswirken. Sieben Trends sind in dieser Hinsicht besonders rele­vant. Zusammen betrachtet verdeutlichen sie, dass außenpolitische Anforderungen und innenpolitische Ressourcen in den USA zunehmend auseinanderklaffen.

Der Blick auf die USA ist oft verengt auf die aktuellen politischen Ereignisse und Bewer­tungen des gegenwärtigen US-Präsidenten und seiner Politik. Für Deutschland und die anderen europäischen Partner der USA ist jedoch von nicht minder großer Bedeutung, welche strukturellen und längerfristigen Entwicklungen hinter den aktuellen Er­eignissen stehen. Zu welchem außenpolitischen Partner werden die USA, auch los­gelöst von der Frage, wer die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen gewinnt?

Eine von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) initiierte Gruppe von Exper­tinnen und Experten hat sieben Trends identifiziert, die die Innen- und Außen­politik der USA in den nächsten fünf bis zehn Jahren maßgeblich prägen werden.

Die politische Polarisierung, die noch durch Umbrüche in der Medienlandschaft verstärkt wird, und die wachsende sozio-ökonomische Ungleichheit in den USA schwächen die innenpolitischen Voraus­setzungen für eine international engagierte US-Außenpolitik. Auch die Folgen des Klimawandels bergen großes Potential für eine Vertiefung des Risses, der die Gesellschaft in den USA durchzieht. Strukturelle Verschiebungen in der US-amerikanischen Wirtschaft befeuern nationalistische und protektionistische Impulse in Washington. Der sich verschärfende Konflikt mit China und das anhaltend hohe Gewaltniveau im internationalen Umfeld lassen zugleich die außen- und sicherheitspolitischen Anforderungen an die USA weiter wachsen.

1.Trend: Zunehmende politi­sche und gesellschaftliche Polarisie­rung

Polarisierung bezeichnet das ideologische Auseinanderdriften von Parteien und von gesellschaftlichen Gruppen. Die Bruchlinien sind dabei in erster Linie durch innen- und gesellschaftspolitische sowie durch welt­anschauliche Konflikte definiert.

Der Trend zur Polarisierung hat die Schwächung moderater und die gleichzeitige Stärkung extremer Positionen zur Folge. Diese Tendenz lässt sich in den USA zwar bereits seit den 1960er Jahren beobachten. In den letzten 25 Jahren wurde sie jedoch zu einem der prägendsten Phänomene der US-amerikanischen Innenpolitik. Es ist da­von aus­zugehen, dass sich die Polarisierung un­geachtet des Ausgangs der Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November 2020 zumindest fortsetzen wird.

Welche Folgen dieser Trend hat, lässt sich am ideologischen Abstand zwischen den Republikanern und Demokraten im Repräsentantenhaus und im Senat ermes­sen: Die am weitesten »links« stehenden Republikaner stehen noch immer weiter »rechts« als die konservativsten Demokraten – es gibt also mittlerweile keine Überschneidungen mehr. Während die ideo­logische Geschlossenheit der Parteien gleich geblieben ist oder zugenommen hat, haben sich die beiden Parteien zusehends von­einander entfernt.

Die Polarisierung führt auch dazu, dass radikalere Fraktionen innerhalb der Par­teien stärker werden – eine Entwicklung, die bei den Republikanern stärker aus­geprägt ist als bei den Demokraten. Das Phänomen ist nicht nur auf die politischen Eliten beschränkt. Die Polarisierung ist in­zwischen auch in der Bevölkerung nach­weisbar, insbesondere bei politisch engagier­ten Wählerinnen und Wählern.

Durch die Polarisierung wächst die Ge­fahr einer Schwächung der für das System der Checks and Balances elementaren Kom­promissbereitschaft – und damit auch der amerikanischen Demokratie insgesamt. Die Unfähigkeit der Politiker in Exekutive und Legislative, sich zu verständigen und zu kooperieren, wirkt sich mithin negativ auf die gesetzgeberische Arbeit im US-Kongress aus. Entsprechend sinkt die Problemlösungs­fähigkeit gegenüber sozialen wie ökonomischen Herausforderungen.

Die ideologische Polarisierung kommt besonders deutlich bei innen- und gesell­schaftspolitischen Fragen zum Ausdruck, wie bei der Einwanderungs-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik und bei den The­men Abtreibung und gleich­geschlechtliche Ehe. Sie wirkt sich jedoch zusehends auch auf die US-Außenpolitik aus. So schwächt die Polarisierung den »internationalistischen« Grundkonsens, der dem weltpolitischen Führungsanspruch Amerikas in den vergan­genen sieben Dekaden zugrunde lag. Zu­dem begünstigt sie extremere Pendelschwünge in den Grundzügen der amerikanischen Außenpolitik, wenn es zu Machtwechseln im Weißen Haus kommt. In letzter Kon­sequenz trägt die Polarisierung somit im In‑ und Ausland zu einem Verlust des Ver­trauens sowohl in die poli­tischen Institu­tionen der USA als auch in deren Rolle als Weltmacht bei.

2.Trend: Wachsende Ungleichheit und gesellschaftliche Spaltung

Bestimmte politische Entscheidungen – unter anderem die Politik der Deregulierung und Entstaatlichung während der Prä­sidentschaft von Ronald Reagan und die Steuerreform unter Donald Trump – und wirtschaftliche Schocks (beispielsweise die Finanzkrise von 2007–2009) haben die Ein­kommens- und Wohlstandsungleichheit in den USA wachsen lassen. Sie haben zugleich zu einer Verringerung der sozialen Mobi­lität geführt. Für die kommenden Jahre ist da­von auszugehen, dass sich diese Prozesse fortsetzen oder noch verstärken werden.

Mögliche bzw. wahrscheinliche Kon­sequenzen dieser Entwicklung sind: eine Abnahme des Vertrauens in die politische Handlungsfähigkeit des Staates; zunehmend kontrovers geführte Auseinandersetzungen über politische und ökonomische Teilhabe; eine verschärfte Konkurrenz um begrenzte staatliche Ressourcen und die Überforderung einzelstaatlicher Haushalte. Dies wie­derum könnte die Debatte in den USA über den Föderalismus und über Ausgaben­prioritäten insgesamt anfachen.

Die Einkommens- und Wohlstands­ungleichheit ist verbunden mit anderen gesellschaftlichen Spaltungstendenzen in Amerika. So ist nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd und anderer Afroameri­kaner im Zuge von Polizeieinsätzen die Debatte über strukturellen Rassismus in den USA so­wohl im Land selbst als auch international heftig wiederaufgeflammt. Das Thema hat schon deshalb einen Bezug zur wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit in den USA, weil Armut und Hautfarbe eng miteinander verknüpft sind.

Die Corona-Pandemie wird die sozio-ökonomische Ungleichheit auch in den USA aller Voraussicht nach zusätzlich ver­stärken. Sie könnte daher sogar zu einem Wendepunkt in der innenpolitischen Dis­kussion über die Kluft zwischen Arm und Reich und Rassismus werden. Aber auch dann, wenn es – den weiterhin be­stehen­den institutionellen Beharrungskräften zum Trotz – zu einer grundlegenden sozial- und gesellschaftspolitischen Kurskorrektur kommt: Es wäre mehr als ungewiss, ob dies bereits in den kommenden fünf oder zehn Jahren zu einer Abschwächung der sozialen Ungleichheit führen würde.

In dem Maße, in dem die gesellschaft­lichen Spannungen und Probleme in den USA zunehmen, schwinden auch die innen­politischen Grundlagen und Ressourcen für die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik. Die Zustimmung der amerikanischen Bevölkerung zur Übernahme kosten­trächtiger internationaler Verpflichtungen und zu militärischen Interventionen war in den USA nie bedingungslos. Sie hing auch von dem glaubwürdigen Versprechen grö­ßerer wirt­schaftlicher Inklusivität und Chancengleich­heit innerhalb der amerikanischen Gesellschaft ab.

3.Trend: Umbrüche in der amerikanischen Medienlandschaft

Die USA erleben einen massiven Umbruch ihrer Medienlandschaft. Dieser wird maß­geblich von drei miteinander zusammenhängenden Entwicklungen angetrieben, nämlich der Digitalisierung, der Deregulierung und der Konsolidierung bzw. Konzen­trierung der Informationsinfrastrukturen in den USA. So hat die Deregulierung des Medienmarkts in den letz­ten Jahren das Aufkommen einiger weniger großer Kon­glo­merate begünstigt, die die Branche dominieren.

Das gilt nicht zuletzt auch für lokale Medien, die in den USA weiterhin eine große Rolle bei der Informationsversorgung der Bevölkerung spielen. Lokaler Journalismus wird zunehmend durch »Syndikationen« er­setzt, das heißt durch die Mehrfachverwendung medialer Inhalte (z.B. von den Firmen Sinclair und Gannett). Damit einhergehend werden Lokalredaktionen verkleinert.

Durch die Digitalisierung wurde nicht nur das Geschäftsmodell klassischer Print­medien stark gestört bzw. zerstört. Auch haben soziale Medien und digitale Platt­formen dadurch massiv an Bedeutung für die politische Öffentlichkeit gewonnen. Die Betreiber digitaler Plattformen verstehen sich nicht als Gatekeeper, die für die Qualität der Inhalte einstehen, sondern als »Moderatoren« für bestimmte politische Inhalte.

Das Aufkommen großer Medienkonglomerate begünstigt auch die Umstellung von Informationsangeboten auf »Entertainment«-Formate und den Wandel des Journalismus-Modells von »interner« hin zu »externer Diversität«. Damit ist die Re­duzie­rung der Vielfalt an Meinungen bzw. Grund­haltungen innerhalb einzelner Medien, Medienunternehmen oder Plattfor­men gemeint, während gleichzeitig die poli­tische Polarisierung zwischen den Medien­(unternehmen) zunimmt. So kann ein aus­ländischer Zuschauer, der morgens CNN und nachmittags Fox News schaut, leicht den Eindruck gewinnen, die Nach­richten stammten aus unterschiedlichen Welten.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass es in den USA zukünftig zwar mehr Nach­richten, aber weniger professionellen Jour­nalismus geben wird.

Während wir in den USA eine Konsolidierung der Informationsinfrastrukturen beobachten, fragmentiert die dortige Medienlandschaft zugleich in kleinteiligere »Sub-Öffentlichkeiten«, ein Prozess, der durch die Sozialen Medien noch verstärkt wird. Es kommt zur Herausbildung von Medien-Ökotopen, die eine bestimmte politische Identität oder Meinung widerspiegeln und verbreiten.

Die Trends der politischen Polarisierung, der gesellschaftlichen Spaltung und der Medienfragmentierung verstärken sich gegenseitig. So hat der Umbruch der Medien­landschaft ebenfalls weitreichende Kon­sequenzen für die US-amerikanische Demo­kratie. Einerseits wächst mit der Digitalisierung die Vielfalt der Stimmen und Meinun­gen im öffentlichen Raum. Andererseits steigt durch die Krise des professionellen Journalismus die Gefahr, dass Wählerinnen und Wähler nur noch sehr einseitig infor­miert werden oder komplett uninformiert bleiben – nicht zuletzt wegen der sinken­den Qualität des Lokaljournalismus. Zudem verlieren die Medien als vierte Gewalt bzw. als demokratie­relevante Kontrollinstanz an Glaubwürdigkeit. Die Verbreitung von Ver­schwörungstheorien wird durch diese Ent­wicklungen ebenfalls stark begünstigt.

4.Trend: Steigende wirtschaft­liche und politische Kosten des Klimawandels

Der Klimawandel führt auch in den USA zu einer Zunahme von Extremwetterlagen und einer Häufung von Naturkatastrophen. Ein aktuelles Zeichen dafür sind die verheerenden Wald­brände an der West­küste der USA, aber auch abnorme Stürme und Dürren. Letztere haben schon heute nega­tive Aus­wirkungen auf die Landwirtschaft, die Lebensmittelversorgung und auf kritische Infrastrukturen. Die extremen Wetterlagen bedrohen zudem die Nationalparks, die nicht nur eine natürliche Ressource und Erholungsraum sind, sondern auch Teil der amerikanischen Identität.

Die Klimapolitik hat im Hinblick auf die amerikanische Politik und Gesellschaft ein beträchtliches Spaltpotential. Obwohl unter­schiedliche Behörden in den USA über de­taillierte Erkenntnisse über die Folgen des Klima­wandels verfügen, haben Expertenwissen und fundierte Analysen in der Öffentlichkeit einen schweren Stand – sie werden nicht umfassend gesellschaftlich geteilt und lassen sich daher politisch leicht neutralisieren. Leugner des menschen­gemachten Klimawandels finden sich vor allem in den Reihen der Konservativen.

Einige US-Bundesstaaten implementieren eigene klimapolitische Maßnahmen, andere tun dies nicht. Die Kosten des Klimawandels sind in den USA aufgrund seines unterschied­lichen regionalen Ausmaßes sehr un­gleich verteilt. Für viele besonders betroffene Bundestaaten ist zum Beispiel der Auf­wand für den Küstenschutz kaum aus eige­ner Kraft zu decken. An diese Tatsache knüpft sich dementsprechend eine Debatte zwischen den politischen Ebenen (Bund und Bundesstaaten) über die Verteilung der Kosten. Klimapolitisch relevante Fragen wie die Zukunft des »Fracking« oder des Kohle­abbaus haben erhebliches Konfliktpotential auf lokaler Ebene.

Auch außen- und sicherheitspolitisch ergeben sich aus dem Klimawandel Kon­sequenzen. Einige davon werden erst lang­fristig (das heißt in mehr als zehn Jahren) voll durchschlagen. Aber bereits heute wirkt der Klimawandel als latenter Multi­plikator für zwischenstaatliche Konflikte. Mit Blick auf das Abschmelzen des Eises in der Arktis und der Antarktis ist mit einer Zunahme der internationalen Spannungen zu rechnen, wenn es um die Erschließung und Sicherung neuer Ressourcenquellen und Schifffahrtswege geht.

Ein Anstieg der wirtschaftlichen, politi­schen und sicherheitspolitischen Kosten des Klimawandels könnte dazu führen, dass dem Klimaschutz in den USA in Zukunft wieder mehr Aufmerksamkeit zuteilwird. Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat sich bereits recht klar zu einem solchen Rich­tungswechsel bekannt. Sein Wahlsieg böte daher die Chance, dass die internationale Zusammenarbeit in der Klimapolitik unter Einschluss der USA wieder stärker an die Zeit vor Beginn der Amtszeit Präsident Trumps anknüpfen kann.

Welche Position die USA in den inter­nationalen Klimaverhandlungen einnehmen und wie innovativ US-Unter­nehmen bei klimarelevanten Technologien (z.B. Energie­gewinnung, Mobilität oder Climate Engineering) agieren werden, hängt aller­dings stark von den nationalen Rahmen­bedingungen ab. Wie diese– etwa mit Blick auf Regulierungen – unter einer Biden-Administra­tion konkret gestaltet werden, bleibt abzuwarten.

Bereits heute zeichnet sich ab, dass die USA auf globaler Ebene weiterhin mit meh­reren Stimmen sprechen werden. Dazu gehören neben der Regierung in Washington auch die engagierten Bundesstaaten, Städte und Unternehmen und die Klimaschutzbewegung. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass – ob mit oder ohne eine Rückkehr der USA in das Pariser Klima­abkommen – die US-Regierung ihren eige­nen Vorstellungen über den Umgang mit den Klimafolgen und dem Klimaschutz Vorrang geben wird.

Daraus könnten technologische Ansätze hervorgehen und wirtschaftliche Interessen erwachsen, die nicht automatisch im Ein­klang mit den klimapolitischen Prioritäten europäischer und anderer internationaler Partner stehen.

5.Trend: Restrukturierung der US‑Wirtschaft

Die Wirtschaft der USA befindet sich in einem fundamentalen Strukturwandel: Wäh­rend der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Wirtschaftsleistung der USA sinkt, wird der Dienstleistungs- bzw. Digitalsektor immer wichtiger. Dieser Trend wird sich auch in den nächsten Jahren fort­setzen. Die Politik in den USA verfügt auch nicht über die notwendigen Mittel, ihn zu stoppen – wenn sie es denn wollte. Bislang fehlen zudem politische Ansätze, diesen Transformationsprozess konstruktiv zu be­gleiten, beispielsweise durch mehr Investi­tionen in Bildung.

Der strukturelle Wandel der US-Wirt­schaft ist sowohl eine Folge der Globalisierung (Stichwort »Outsourcing«) als auch der Automatisierung und Digitalisierung. Die USA verfügen im digitalen Bereich über eine hohe Innovationskraft und einen kom­petitiven Vorteil gegenüber anderen Län­dern. Es ist davon auszugehen, dass dieser Vorteil in den kommenden Jahren bestehen bleibt – auch wenn der Technologie­wettbewerb international zunimmt und andere Staaten, nicht zuletzt China, hier auf­holen.

Allerdings wird der digitale Sektor – be­günstigt durch den zurückhaltenden Ein­satz kartellrechtlicher Instrumente – von wenigen großen Konzernen dominiert. Durch diese Monopolisierung leidet der Wettbewerb, und auch die Innovations­fähig­keit bei digitalen Dienstleistungen wird da­durch begrenzt.

Im verarbeitenden Gewerbe in den USA ist seit Jahrzehnten ein Abbau von Arbeits­plätzen zu beobachten. Der Aufstieg Chinas zum führenden Industrieproduzenten und Exporteur hat diesen strukturellen Wandel in der amerikanischen Wirtschaft zusätzlich vorangetrieben (siehe Hilpert 2020).

Die Veränderungen haben unmittelbare politische Folgen in den USA. Die Verluste an Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen trafen in erster Linie den sogenannten »Rust Belt«, also die stark industriell ge­prägten Bundes­staaten wie beispielsweise Pennsylvania, Michigan und Ohio. Dort führten die beschriebenen Umstrukturierungen zu besonders krassen sozialen Verwerfungen. Die meisten Bundesstaaten im Rust-Belt wurden bei den letzten Präsi­dentschaftswahlen 2016 von Donald Trump gewonnen.

An dem Bedeutungsverlust des verarbeitenden Gewerbes werden allerdings weder die wirtschaftlichen Stützungsmaßnahmen während der Corona-Pandemie noch eine strategische und wirtschaftliche Entkopplung von China, wie sie von Teilen der Trump-Administration anvisiert wird, etwas Grundsätzliches ändern.

Auch wenn die Politik den wirtschaft­lichen Strukturwandel nicht aufhalten kann, so ist doch zu erwarten, dass die nächste US-Administration in den kommenden Jahren vermehrt Maßnahmen er­greifen wird, die das verarbeitende Gewerbe in den USA stützen bzw. fördern sollen. Denkbare Varianten einer solchen politischen Gegen­reaktion sind die gezielte Verhängung von Schutzzöllen für Warenimporte und gesetz­geberische Schritte, die auf eine Renationalisierung von – insbesondere kritischen bzw. sicherheitsrelevanten – Industrien hinauslaufen.

Insgesamt ist somit zu erwarten, dass die Wirtschaftspolitik der USA weiterhin von nationalistischen und protektionistischen Tendenzen durchzogen sein wird. Auf der internationalen Ebene ist mit einer Zu­nahme von Handelskonflikten vor allem mit China zu rechnen. Im Falle einer zwei­ten Amtszeit von Trump dürfte auch die EU handelspolitisch im Visier Washingtons bleiben und ein Rückzug der USA aus wei­teren globalen Organisationen, wie bei­spiels­weise der Welthandelsorganisation (WTO), wäre nicht auszuschließen.

6.Trend: Die strategische Rivalität zwischen den USA und China

Angesichts des militärischen und wirtschaft­lichen Erstarkens Chinas und des zunehmenden sino-amerikanischen Antagonismus stellt sich für die USA die Frage nach dem »richtigen« Mischungsverhältnis zwischen konfrontativen und kooperativen Ansätzen im Verhältnis zu Peking. Neben dem wirtschaftlichen und technologischen Wettbewerb verstärkt sich auch das Sicher­heitsdilemma, in dem sich beide Staaten befinden. Die nukleare Rüstungskonkurrenz wird ebenso wie die militärische Dimension des Cyber- und Weltraums an Bedeutung gewinnen.

Sowohl unter einem demokratischen als auch unter einem republikanischen Präsi­denten werden sich die amerikanisch-chine­sischen Friktionen voraussichtlich verschärfen und die partielle Entkopplung von Hoch­technologiebereichen fortsetzen, wenn­gleich mit unterschiedlich hoher Intensität.

Denn auch Trumps Herausforderer Joe Biden betont, er wolle »tough with China« sein. Auch Biden beklagt den Diebstahl von Technologie und geistigem Eigentum durch China und dessen aggressives außenpolitisches Verhalten. Der Anti-China-Konsens hat sich auf beiden Seiten des politischen Spektrums sowohl in den außenpolitischen Eliten als auch in Teilen der US-amerika­nischen Bevölkerung weiter verfestigt. Aktuelle Meinungsumfragen belegen, dass dieser Trend durch die Corona-Pandemie noch verstärkt wird. Abweichende Stim­men, die vor einer Überhöhung der »chine­sischen Bedrohung« in den USA warnen, bleiben in der Minderheit.

Die USA werden die internationale Poli­tik zunehmend exklusiv durch das »China-Prisma« wahrnehmen – mit der möglichen Folge, dass sich die Rivalität mit Peking so­gar zum organisierenden Prinzip der ameri­kanischen Außenpolitik entwickelt.

Der Umgang mit China wird sich in er­heblichem Maße auf die Ausgestaltung der transatlantischen Beziehungen auswirken. Die USA und die meisten EU-Staaten sind sich einig in ihrer grundsätzlichen Kritik an China und fordern gleiche Marktzugangs- und Wettbewerbsbedingungen von Peking. Die USA setzen dabei jedoch anders als Europa vorrangig auf restriktive Handels­instrumente wie Zölle, Exportkontrollen, Lieferboykotte und Investitionsbeschränkungen. Ein weiterer Unterschied liegt zu­dem darin, dass die EU nach wie vor auf institutionalisierte Streitbeilegung setzt, während die USA einen bilateralen, trans­aktionalen Ansatz gewählt haben.

Schließlich sieht sich Washington viel mehr als Europa in einem scharfen Kon­kur­renzkampf mit China in der Frage, wer in Zukunft essenzielle digitale Netzwerke poli­tisch und wirtschaftlich dominieren wird.

Die USA haben, was den strategischen Ansatz gegenüber China betrifft, die klare Erwartung, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten sich der amerikanischen Sichtweise anschließen. Es ist davon auszugehen, dass Amerika auch unter der nächsten US-Admi­nistration entsprechend Druck ausüben wird. Europa wird daher gezwungen sein, seine wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen noch mehr abzuwägen.

7.Trend: Das anhaltend hohe Niveau gewaltsamer Konflikte als Problem (auch) für die Führungs­macht USA

Das internationale Umfeld ist weiterhin durch ein hohes Konfliktniveau gekennzeichnet. Damit gemeint sind zwischenstaatliche, innerstaatliche und internatio­nalisierte Konflikte, die entweder gewaltsam ausgetragen werden oder die das Potential dazu haben. Viele der bereits ge­waltsam ausgetragenen Konflikte, beispiels­weise in Syrien, Afghanistan, Libyen, Nigeria oder dem Jemen, entfalten eine regionale oder gar überregionale Wirkung.

Die Ursachen für die Gewalt sind fall­spezifisch und vielfältig. Eine wesentliche Rolle spielen jedoch häufig die zunehmende Fragmentierung des internationalen Systems, das verstärkte Auftreten nicht-staatlicher Gewaltakteure und die Fragilität von Staatlichkeit weltweit. Die Intensivierung bewaffneter Auseinandersetzungen, an denen Regional- bzw. Großmächte wie die USA, China, Russland, Indien, Iran, Saudi-Arabien oder die Türkei beteiligt sind, lässt erwarten, dass die Internationalisierung von Konflikten weiter zunehmen wird. Diese Entwicklung war bereits in den vergangenen Jahren in Libyen, Syrien und im Jemen zu beobachten.

Darüber hinaus schwächen zwischenstaatliche Rivalitäten jene multilateralen Organisationen, die eigentlich zur Ent­schärfung oder gar Lösung gewaltsamer Konfron­tationen beitragen sollen. Das gilt nicht zuletzt für den Sicherheitsrat der Vereinten Natio­nen.

Konflikte werden zudem immer mehr in neuen Modi – etwa in Form einer »hybri­den« bzw. »asymmetrischen« Kriegsführung – ausgetragen. Dabei werden auch nicht-militärische Mittel, wie beispielsweise Wirt­schaftssanktionen und der Cyberraum, rele­vanter. Zugleich bleibt der internationale staatsgefährdende Terrorismus eine Gefahr, die weltweit Konflikte anheizt. Vieles deu­tet darüber hinaus darauf hin, dass die politischen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ebenfalls als Konflikt­treiber wirken.

Das anhaltend hohe Konfliktniveau be­einflusst unmittelbar auch die außen- und sicherheitspolitischen Prioritäten und Hand­lungsmöglichkeiten der USA. Zum einen verstärkt es die in Washington vor­handenen Bedrohungswahrnehmungen, etwa mit Blick auf China oder den inter­nationalen Terrorismus. Zudem erhöht sich dadurch die Nachfrage nach Sicherheit im Rahmen der US-geführten Bündnissysteme in Europa, dem Mittleren Osten und im Indopazifik. Schließlich betrifft die Gewalt auch unmittelbar Länder und Regionen, in denen die USA bislang sicherheitspolitisch und militärisch enga­giert sind – und aus denen sie sich zurück­ziehen wollen.

Angesichts begrenzter – und durch die Folgen von Corona weiter schwindender – finanzieller Ressourcen und einer Erosion der militärischen Überlegenheit der USA steigt in Washington der Druck, im Hin­blick auf sicher­heitspolitische und mili­tärische Inter­ventionen in Zukunft noch selektiver vorzugehen und stärker Priori­täten zu setzen.

Ausblick: Die USA bleiben nach den Wahlen ein schwieriger Partner

So mächtig US-amerikanische Präsidenten auch sein mögen – ihr Handlungsspielraum wird von langfristigen Entwicklungen geprägt, die weit über die nächsten Wahlen hinauswirken. Die jeweiligen Amtsinhaber im Weißen Haus können sich diese Ent­wick­lungen für ihre politischen Ziele nutz­bar machen und sie gegebenenfalls verstär­ken oder ihnen entgegenwirken. So hat die politische und gesellschaftliche Spal­tung Amerikas Donald Trump vermut­lich den Weg ins Weiße Haus geebnet und sich an­schließend in den vier Jahren seiner Prä­si­dentschaft weiter vertieft. Weder hat Trump jedoch die Polarisierung geschaffen noch könnte ein Amtsnachfolger Biden sie in vier Jahren wieder rückgängig machen.

Die Gesamtschau der sieben hier beschriebenen Trends zeigt, dass die Kluft zwischen den außenpolitischen Ambitionen der USA bzw. Anforderungen an sie und den innenpolitischen Grundlagen, um diesen Ambitionen gerecht zu werden, größer wird. Die sich vertiefende politische und gesellschaftliche Spaltung in Amerika und die wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit untergraben die Funda­mente der Demokratie in den USA. Damit werden zukünftige US-Administrationen ihre politische Aufmerksamkeit und finan­zielle Ressourcen verstärkt der Bewältigung der innenpolitischen Probleme widmen müssen. Zugleich besteht die Gefahr, dass der Rückhalt in der amerikanischen Öffent­lichkeit für außenpolitisches Engagement der USA weiter schwindet. Die wirtschaft­lichen und politischen Folgen der Corona-Pandemie dürften diese Trends beschleu­nigen.

Dessen ungeachtet sehen sich die USA weiterhin als eine globale Führungsmacht, die in strategischen Weltregionen Bündnisse unterhält, dort Einfluss nehmen will und sich der Herausforderung insbesondere durch China mit aller Kraft entgegenstemmt. Innenpolitische Probleme und schwindende Ressourcen könnten dazu beitragen, dass Washington in Zukunft (noch) selektiver auswählt, wie und wo es sich außen- und sicherheitspolitisch engagiert. Das wird eher im Indopazifik sein als in Europa, Afrika oder im Mittleren Osten. Deutschland und seine europäischen Partner müss­ten dann ihrerseits entscheiden, wo und wie sie sich engagieren wollen und können.

Die Aussicht auf eine Entschärfung der gegenwärtigen transatlantischen Spannungen mag sich eher mit einem Wahlsieg Joe Bidens bieten als mit vier weiteren Jahren Trump. Ein kurzer Blick auf drei aus deut­scher und europäischer Sicht besonders relevante Themenfelder – der Umgang mit China, die internationale Klima- und die Handelspolitik – verdeutlicht jedoch, dass die USA auch unter einer Biden-Adminis­tration aller Voraussicht nach ein schwieriger Bündnispartner bleiben werden.

Dr. Marco Overhaus leitet die Expertengruppe USA und ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe Amerika der SWP. Dr. Florian Böller ist Junior-Professor an der TU Kaiserslautern. Dr. Gerlinde Groitl ist Politikwissenschaftlerin. an der Uni­ver­sität Regensburg. Dr. Stormy-Annika Mildner ist Abteilungsleiterin für Außenwirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Dr. Claudia Schmucker ist Leiterin des Programms Globalisierung und Weltwirtschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dr. David Sirakov ist Direktor der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz. Dr. Christian Lammert ist Professor, Dr. Curd Knüpfer ist Junior-Professor und Dr. Lora Anne Viola ist Professorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin. Dr. Laura von Daniels ist Leiterin, Dr. Sascha Lohmann und Dr. Johannes Thimm sind Wissenschaftler und Darwin Veser ist studentische Hilfskraft in der Forschungsgruppe Amerika der SWP. Dr. Susanne Dröge ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Globale Fragen der SWP.

Das Aktuell basiert auf den bisherigen Ergebnissen der Expertengruppe USA, spiegelt jedoch nicht den Konsens aller Mit­glieder der Gruppe wider. Das Projekt wird finanziell gefördert vom Auswärtigen Amt. Nähere Informationen sind zu finden unter: https://www.swp-berlin.org/projekte/expertengruppe-usa/

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ISSN 1611-6364

doi: 10.18449/2020A82

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