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Projekte

Die Versicherung moderner Gesellschaften: Eine historisch-vergleichende Soziologie privater Versicherungen, ihrer Entwicklung, Ursprünge und Folgen

Sebastian Kohl

DFG-Projekt: 521230583

Dieses Projekt schlägt eine historisch-vergleichende Soziologie des privaten Versicherungssektors in seinen Lebens- und Nichtlebenszweigen (Sach-, Transport- usw.) in 20 alten OECD-Ländern ab dem späten 19. Jahrhundert und in 15 aufstrebenden Volkswirtschaften mit kürzerem Erfassungsbereich (Lateinamerika, Asien, Osteuropa) vor. Der Versicherungssektor nimmt jährlich etwa 7 % des weltweiten BIP als Prämieneinnahmen ein, hält etwa die Hälfte der gesamten Bankaktiva und wird in Zeiten steigender Klima- und Katastrophenrisiken immer wichtiger, wurde aber erstaunlicherweise sowohl von Historikern und Finanzwissenschaftlern mit ihrem Fokus auf Banken und Kapitalmärkte als auch von Politikwissenschaftlern mit ihrem starken Fokus auf öffentliche, wohlfahrtsstaatliche Versicherungen vernachlässigt. Soziologen selbst haben viel zu Risikogesellschaften geforscht, darin aber den Versicherungssektor weitgehend ignoriert. Dieses Projekt zielt darauf ab, diese Lücke zu schließen, indem es eine ländervergleichende historische Datenbank der wichtigsten Bestands- und Stromvariablen moderner prämienbasierter Versicherungen aufbaut, um ihre Entwicklung über Zeit und Länder hinweg zu untersuchen, ihr Wachstum zu erklären und ausgewählte Konsequenzen in drei Arbeitspaketen zu untersuchen. Das erste Arbeitspaket wird eine Versicherungsdatenbank aufbauen und die etwa 200-jährige Entwicklung der modernen Versicherungen beschreiben sowie ihre Wachstumstrends mit denen anderer Finanzinstitutionen und des öffentlichen Wohlfahrtsstaates vergleichen. Es wird auch die unterschiedlichen Wachstumspfade der Länder im Versicherungswesen aufzeigen. Das zweite Arbeitspaket befasst sich mit der Frage nach den verschiedenen Wachstumsdeterminanten, wobei vor allem häufig diskutierte wirtschaftliche und kulturelle Faktoren untersucht werden, z. B. die Beziehung zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Versicherungswachstum und die potenziell Webersche Beziehung zwischen Protestantismus und verschiedenen Konfessionen und der Versicherungsentwicklung. Ein letztes Arbeitspaket konzentriert sich auf ausgewählte Folgen von Versicherungen: Sichert der Sektor makroökonomisch gegen Finanz- und andere Krisen ab, indem er eine schnellere wirtschaftliche Erholung ermöglicht? Gibt es einen Zielkonflikt zwischen privaten Versicherern und öffentlichen Versicherungen, insbesondere im Bereich der Renten- und Unfallversicherung? Insgesamt knüpft das Projekt an einige Fragen an, die in verschiedenen Disziplinen für sehr kurze Zeiträume untersucht wurden, spielt aber den enormen Datenvorteil aus, viele Länder langfristig zu erfassen. Über den Aufbau einer künftigen Datenbank für die Weiterverwendung in der Wohlfahrts-, Finanz- und Wertpapierforschung hinaus trägt das Projekt zu einer potenziellen Versicherungssoziologie bei, die eine Verbindung zu den Weberschen Themen der Rationalisierung, zu den verschiedenen Welten der öffentlichen Wohlfahrt und zu den Spielarten des Kapitalismus herstellt.

Die Rückversicherung von Katastrophen: Geschäft und "Politics" von Rückversicherern in Zeiten von Klimawandel und Finanzialisierung

Sebastian Kohl

DFG-Projekt: 521230583

Rückversicherer versichern Direktversicherer gegen übermäßige Verluste, indem sie Risiken über den gesamten Globus streuen und so die direkte Schadens- und Lebensversicherung ermöglichen. In jüngster Zeit ist diese wirtschaftliche Hintergrundfunktion in den Mittelpunkt des Medieninteresses gerückt, da der Anstieg der Rückversicherungsprämien oder sogar der Rückzug aus Märkten, die dem Klimawandel zu stark ausgesetzt sind, ganze Gebiete und Branchen unversicherbar gemacht hat. Rückversicherer sind aufgrund ihrer globalen Ausrichtung auf Schadenexzesse in einer einzigartig exponierten Position, Klimakatastrophen dokumentieren zu können, während sie selbst durch Katastrophenanleihen und Finanzinvestitionen zunehmend mit den Finanzmärkten verflochten sind. Dieses Projekt zielt darauf ab, die oft verborgenen Finanzgiganten im Rückversicherungssektor aufzudecken, um zu verstehen, wie sie auf den Klimawandel und Finanzialisierungsprozesse reagiert haben. In einem ersten Arbeitspaket wird daher vorgeschlagen, eine neue Datenbank mittels Rückversicherungsaufsichten und Unternehmensberichten aufzubauen, um die wichtigsten langfristigen internationalen Trends des Rückversicherungssektors aufzudecken und quantitativ zu beschreiben. Dies umfasst die wichtigsten Dimensionen des operativen Geschäfts der Rückversicherer, der Finanzinvestitionen und der Performance öffentlicher Aktien im Lichte zunehmender Katastrophenschäden. Damit wird die Grundlage für ein besseres qualitatives Verständnis der Reaktion der Rückversicherer auf den Klimawandel und den Druck zur Finanzialisierung geschaffen. In den Arbeitspaketen 2 und 3 werden dann die internen Prozesse der beiden größten Rückversicherer der Welt, Swiss und Munich Re, durch Interviews, Archivarbeit und process-tracing näher beleuchtet, um zu verstehen, wie diese Akteure mit dem Klimawandel und der Finanzialisierung umgegangen sind. Arbeitspaket 2 wird beschreiben, wie die Unternehmen ab den 1970er Jahren auf klimabezogene Anomalien stießen, interne Risikoabteilungen aufbauten und - anders als die Ölindustrie - bald mit ihren Erkenntnissen aus Verluststatistiken an die Öffentlichkeit gingen. Es wird der Frage nachgehen, wie die Unternehmen epistemisch, aber auch betriebswirtschaftlich auf diese Erkenntnisse reagierten. Arbeitspaket 3 wiederum wird sich mit dem parallelen Prozess der Finanzialisierung befassen: Wie wurden die beiden großen Unternehmen zunehmend abhängig von Katastrophenanleihen, die auf den Finanzmärkten verkauft wurden, und von Investitionseinnahmen, um Katastrophenschäden aufzufangen? Wie haben sie selbst versucht, die Finanzmärkte durch die Unterstützung von Mikroversicherungen gegen Klimarisiken in Ländern des Globalen Südens zu erweitern? Insgesamt zielt das Projekt darauf ab, einen Beitrag zu den Debatten in der Finanz- (und Versicherungs-) Soziologie, zu Business-Power-Ansätzen und zur Klimasoziologie zu leisten, die alle dazu tendieren, den großen Rückversicherungssektor zu ignorieren.

Wohnraummangel in Deutschland

Sebastian Kohl
Max Steinhardt
Luca Stella

Gefördert von der Hans Böckler Stiftung

Eine zentrale, aber untererforschte Dimension der Neuen Wohnungsfrage ist die unzureichende Versorgung von Haushalten mit Wohnfläche. Nach Jahrzehnten des kontinuierlichen Wohnflächenanstiegs pro Haushalt und Person in West-, und ab den 1990ern auch in Ostdeutschland, reagieren städtische und insbesondere Mieterhaushalte in den letzten Jahren erstmals mit stark rückläufiger Wohnflächennachfrage auf die Preis- und Mieteninflation. Dieser Trend wird auch durch steigende Überbelegungsraten in europäischen Ländern dokumentiert. So hatten 10% der deutschen Haushalte (und sogar 20% der jungen Haushalte) im Jahr 2020 weniger als einen Raum pro erwachsene Person zur Verfügung (Overcrowding). Wohnflächenversorgung und Overcrowding sind dabei in der Gesellschaft stark einkommensabhängig, mit einem Gini-Koeffizienten von ca. 20% in Deutschland, laut Daten des des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) (Kohl et al. 2019). Ungleicher Konsum muss zwar nicht per se problematisch sein, hat aber gerade im Fall von Overcrowding eine Reihe gesellschaftlich unerwünschter Folgen. Unser Projekt legt den Fokus auf Familien, welche bei der Wohnraumfrage mit dem Trilemma der Vereinbarkeit von Familie, Schule und Arbeit konfrontiert sind. So zeigt die bestehende Literatur eine starke Korrelation von Overcrowding mit psychologischem Stress, familiärer Instabilität und geringen schulischen Leistungen. Dies ist im Corona-bedingten Rückzug ins Home-Office und Home-Schooling wie unter einem Brennglas sichtbar geworden.
Wohnraummangel hat somit negative Spillover-Effekte auf eine Reihe von Lebensbereichen, die dieses Projekt erstmals mit kausaler Methodik sowie im Kontext der Corona-Pandemie für Deutschland erforschen möchte. Eine angemessene Wohnraumversorgung ist nicht nur ein zentraler Faktor für die Reproduktion und Allokation von Arbeitskraft, sondern auch
ein zunehmend bedeutender Aspekt des Wohlfahrtsstaats. So ist die Wohnungsfrage in den letzten Jahren wiederholt als „die soziale Frage unserer Zeit“ bezeichnet worden.

Das Dreieck des deutschen demokratischen Kapitalismus - Wachstum, Wohnen und Wählen (REG-TDC)

Charlotte Bartels (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin)
Timur Ergen (Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln)
Sebastian Kohl (Freie Universität Berlin)

DFG-Projekt: 545938199

Das Zusammenspiel von Demokratie und Kapitalismus im deutschen Wirtschaftsmodell wird überwiegend auf nationaler Ebene im internationalen Vergleich untersucht, wobei die großen regionalen Unterschiede jenseits nationaler Durchschnittswerte ignoriert werden. Während Wirtschaftshistoriker/innen bei der Untersuchung der preußischen Landkreise und der "deutschen Länder" anhand regionaler oder städtischer Datensätze vor 1945 wichtige Fortschritte gemacht haben, ist die Untersuchung der subnationalen deutschen politischen Ökonomie nach 1945 nicht in ähnlichem Maße erforscht worden, nicht zuletzt aufgrund eines Mangels an regional harmonisierten Daten. Dieses interdisziplinäre Projekt zum regionalen Dreieck des demokratischen Kapitalismus – oder REG-TDC – schlägt daher vor, in einem ersten Arbeitspaket einen harmonisierten Paneldatensatz auf Kreisebene zu erarbeiten, der den demokratischen Kapitalismus aus drei Blickwinkeln betrachtet: (i) Wirtschaftswachstum in Form von Daten zum Bruttoinlandsprodukt, zur Industrieproduktion und -beschäftigung sowie zur Einkommensverteilung, (ii) Lebensstandard und Sozialräume in Form von Daten zu Wohnraum und Hauspreisen und (iii) demokratische Politik in Form eines Panels regionaler Wahldaten. Das Ergebnis dieses Arbeitspakets wird eine Datenbank für den allgemeinen Gebrauch in der wissenschaftlichen Community sein, die in einem Arbeitspapier dokumentiert wird, sowie Python-Code, der zukünftige Erweiterungen der Datenbank und flexible Definition der regionalen Einheiten ermöglicht. REG-TDC soll als infrastrukturelles Sprungbrett dienen, um die inhaltliche Literatur zum demokratischen Kapitalismus durch regionale Variation in den Arbeitspaketen 2 (Wachstum, Ungleichheit, Wahlen) und 3 (Wohnungsbau, Preise und Wachstum) voranzutreiben. Konkret werden wir untersuchen, wie sich der industrielle Wandel auf die Ungleichheit und das deutsche Wachstumsmodell ausgewirkt hat, wie die Entwicklung von Mieten und Hauspreisen Wahlergebnisse und den Wohnungsbau beeinflusst hat und wie der Wohnungssektor mit dem deutschen Wachstumsmodell zusammenhängt. Das Projekt bündelt Fachwissen aus Wirtschaftsgeschichte, politischer Ökonomie, der historischen Soziologie, und der Volkswirtschaftslehre, um Kernaspekte des demokratischen Kapitalismus in regionaler historischer Perspektive unter Verwendung modernster ökonometrischer Methoden zu untersuchen.