Wem gehört die Wahl? Wem gehört die Uni?
Wem gehört die Wahl? Wem gehört die Uni?
Martin Fischer über einen politisierten Zwischenfall
Eine einfache Frage während einem Auftritt John Kerrys an der University of Florida, Gainesville, beschäftigte während Tagen die amerikanische Öffentlichkeit. Verschiedene Videos zeigen den Studenten Andrew Meyer, wie er den Senator daran erinnert, dass dieser die Wahlen von 2004 doch eigentlich gewonnen habe und ihn schliesslich fragt, wie er das damals erlebt hatte.
Zwei Deutungen der darauf folgenden Ereignisse konkurrieren sich seither im Internet und versuchen die Aufnahmen unterschiedlich zu kontextualisieren. Der einen Version zufolge wurde Meyer bei der zweiten Frage, ob Bush nicht seines Amtes enthoben werden sollte, das Mikrofon abgeschaltet und, als er sich dagegen wehrte, von der Campuspolizei verhaftet. Unter Zuhilfenahme von Elektroschock. Eine zweite Version betont indes, dass die Fragezeit bereits vorüber war und Meyer schon im Vorfeld für Unruhe gesorgt hatte. Deshalb habe auch die Polizei direkt bei ihm gestanden. Mit seinen Rufen, was er denn getan habe und ob er deshalb verhaftet werde, zeige er nur, dass er den Konflikt provozieren wollte. Meyer sei ausserdem als Troublemaker längst bekannt: Ein Video (es wurde in der Zwischenzeit aus dem Internet entfernt) soll ihn nach Erscheinen des letzten Harry Potter-Bandes am Strassenrand zeigen, mit einem Schild und der Aufschrift: „Harry stirbt“.
Zweiter Version zufolge hätte Meyer im Grunde das getan, was die meisten Studierenden in den Semesterferien tun: Eine These aufgestellt – dass wer regierungskritische Fragen stellt, verhaftet wird – und versucht, diese zu verifizieren. Selbst wenn er den Zwischenfall provozierte haben sollte, wäre immerhin bemerkenswert, dass ihm die Bestätigung gelang. Ob allerdings seine Argumentation stringent und seine Vorgehensweise korrekt war, ob sein Mikrofon tatsächlich der unliebsamen Frage wegen abgeschaltet wurde oder eher, weil er mehr als nur eine – noch dazu ausserhalb der ordentlichen Fragezeit – stellte, spaltet unterdessen das amerikanische Publikum.
Gewisse Medienkritiker weisen zwar darauf hin, dass es einzig die im Internet kursierenden (und in der Tat schockierenden) Videoaufnahmen waren, die aus dem eher unbedeutenden Zwischenfall ein nationales Ereignis gemacht haben. Doch streifen die Aufnahmen mit den Themen freie Meinungsäusserung, Regierungskritik und Polizeigewalt einen empfindlichen Nerv der Vereinigten Staaten. Noch dazu an einem Ort, der für Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen, die auch die Interpretation von diesem Video trennt, seit Jahrzehnten von starker Symbolkraft ist: der Universität.
Es war im Jahre 1990 ebenfalls nur ein kleiner Artikel in der New York Times, der eine monatelange Debatte in der amerikanischen Öffentlichkeit auslösen sollte. Der Bericht handelte von einer an den Universitäten grassierenden (wenn auch keineswegs neuen) „political correctness“, beschrieben als eine Art inoffizielle Ideologie, die eine bestimmte, politisch korrekte Haltung etwa in Gender-, Race- oder Umweltfragen definieren würde. Wer hier Vorbehalte äussere und beispielsweise Einwände gegen einen liberalen Multikulturalismus ins Feld führe, riskiere von seinen Dozenten benachteiligt zu werden.
Zur Debatte standen aber nicht weniger als zwei dominierende Weltanschauungen. Auf der einen Seite ein liberaler Pluralismus, der keine Unterschiede zulässt, nur die westliche Kultur als Unterdrückung natürlicher Vielfalt betrachtet und Fragen Antworten vorzieht. Auf der anderen der konservative Vorwurf, dass ein solches Weltbild ohne richtig und falsch, männlich und weiblich, legal und illegal nur zu Indifferenz und Nihilismus führt. Fragen sind zwar erlaubt. Aber wenn die Regel eine pro Person vorschreibt, dann nur eine pro Person und innerhalb der vorgeschriebenen Fragezeit.
Die Universität galt – und gilt noch immer – manch Konservativen geradezu als Brutstätte des Liberalismus, an der ihre eigenen sozialen und philosophischen Ideen nicht mehr gedacht werden dürften.
So schaltete sich in einer Rede an der University of Michigan schliesslich sogar Präsident George Bush in die Diskussion ein, als er zur Verteidigung der Freiheit auf dem Campus gegen „politisch korrekte“ Zensoren aufrief. Ein seit Jahrzehnten verloren geglaubter Ort sollte endlich zurückerobert werden. Denn wenn auch die Universitäten einen verhältnismässig kleinen Verlust darstellen sollte (hatte man doch immerhin das Weisse Haus erobert), besassen sie doch nach wie vor Symbolkraft als Ort der kulturellen Auseinandersetzung: In manch konservativem Verständnis sind Ursprungszeit und -ort des Liberalismus nach wie vor die „bewegten“ 60er Jahre und in diesen Universitäten wie Berkeley oder Wisconsin, wo die Studentenbewegung ihren Anfang nahm.
Berkeley in Kalifornien und Gainesville in Florida dürften in etwa so weit voneinander entfernt sein wie das Amerika der 60er Jahre unter den Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson von den Vereinigten Staaten unter George W. Bush. Umstritten geblieben sind jedoch die Universitäten. Wem gehören sie? Welche Fragen dürfen an ihr gestellt werden? Und wer beurteilt die Antwort? Was Meyer auch immer getan haben sollte, ob eine unangebrachte Frage gestellt oder eine falsche Antwort der Campuspolizei provoziert, den richtigen Ort hatte er sich ausgesucht.
(Martin Fischer, Master-Student)