Calvary Baptist Church
Calvary Baptist Church & Mission Link International
Feldbericht von Rahel Sieghartner
(Aufenthalt: 8.-12. April 2006)
- Strukturelle Einordnung der Calvary Baptist Church in Dachorganisationen
- Gemeindeprofil und Gemeindestruktur
- Pastor Dr. Rick Sadler
- Glaubensprofil der Calvary Baptist Church
- Der Kirchenraum und Gebäude
- Sunday School
- Der Gottesdienst
- Schwerpunkt Mission und Ministries
- Mission Link International
- Meine persönliche Erfahrung
1. Strukturelle Einordnung der Calvary Baptist Church in Dachorganisationen
Bei der Calvary Baptist Church handelt es sich um eine evangelikale und konservative Gemeinde. Sie ordnet sich der Southern Baptist Convention (SBC) zu. Vom Kirchenbudget gehen 8% an die SBC und 2% an sogenannte „local causes“, also Initiativen für Bedürftige in der Umgebung der Kirche. Die Beziehung der Calvary Baptist Church zur SBC ist eine kooperative; die SBC hat keinerlei Kontrollrechte über die Kirche und kann auch nicht die Pastoren der einzelnen Gemeinden bestimmen. Kirchen, die mit der SBC kooperieren, sind autonom, Nonprofit-Organisationen, sie verwalten sich selbst und sind Eigentümer ihres Grundstückes und Gebäudes.
Die SBC ist mit mehr als 15 Millionen Mitgliedern und 42.000 Kirchen die größte protestantische Denomination in den USA. Im Bundesstaat Virginia ist sie in zwei Lager gespalten. 1996 haben sich von der Baptist General Association of Virginia (BGAV), welche die einzige Organisation der SBC in Virginia war, die Southern Baptist Conservatives of Virginia (SBCV) abgespalten[1]. Den Mitgliedern der SBCV war die BGAV zu moderat. Dr. Sadler beschrieb sie sogar als liberal. Ebenso wie der SBCV hat auch die Calvary Baptist Church einen starken missionarischen Ansatz. So findet sich auf ihrer Internetseite als eine Überschrift „To know Christ and to make Him known“.
Die Southern Baptist Convention leistet Lobbyarbeit in Washington D.C. über die „Ethics and Religious Liberty Commission“, deren Sprecher Richard Land ist.
2. Gemeindeprofil und Gemeindestruktur
Die Calvary Baptist Church (CBC) wurde 1966 gegründet. Im Jahr 1980 zog sie an ihren jetzigen Standort. Sie entstand durch eine Abspaltung von der Bemont Baptist Church. Der Name Calvary bezeichnet den Berg, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. Das Durchschnittsalter der Besucher der CBC wird von Sadler auf 45 Jahre geschätzt, wobei jedoch die Gemeinde angeblich zunehmend jünger wird. Um noch mehr junge Leute in die CBCzu ziehen, sucht sie momentan nach einem kompetenten „Youth Minister“, was darauf hinweist, dass der Überhang an Älteren als Problem erkannt wird und ein Problem ist.
Im Gegensatz zu früher ist die CBC keine so genannte „Community Church“ mehr, bei der sich die Gemeindemitglieder vor allem aus der näheren Umgebung rekrutieren. Die CBC hat Mitglieder in einem Radius von 15-20 Meilen, da es einen Mangel an konservativen Gemeinden in der Gegend gibt. Dr. Sadler betont, dass die Kirchenbesucher aus einem „blue-collar“- , also eher Arbeiterhintergrund kommen und verschiedene Rassen haben, was für eine konservative Südstaatenkirche nicht selbstverständlich ist. Angeblich kommen immer mehr Schwarze zu der Kirche. In den Gottesdiensten sind die meisten Menschen jedoch weiß, meiner Schätzung nach mindestens 95%. Seit Dr. Sadler Pastor der Gemeinde ist, stieg die Gottesdienstteilnahme von etwa 60-70 Besuchern auf etwa 150-170 Besucher pro Sonntag an. Sadler führt das u.a. auf die Einführung aktueller Kirchenmusik und den vielfältigen Möglichkeiten für die Mitglieder, sich ins Kirchenleben einzubringen, zurück.
Die Gemeindemitglieder pflegen relativ enge Beziehungen und sind laut Dr. Sadler „accountable to one another“. Es findet also eine gegenseitige soziale Kontrolle statt und die Mitglieder kennen sich persönlich. Es gibt sogenannte „Deacons“, deren Amt sich aus den Bibelstellen [Acts 16:1-7] und [1 Timothy 3:8] speist. Jeder Deacon ist selbst ein Gemeindemitglied und für eine bestimmte Gruppe von Gemeindemitgliedern verantwortlich. Diese Verantwortung drückt sich in Besuchen, Hilfsgesprächen und Nachfragen bei Nicht-Erscheinen in der Kirche aus. Nach biblischem Vorbild müssen die Deacons männlich und verheiratet sein.
Um ein Mitglied in der CBC zu werden, muss man ein christliches „Wiedergeburtserlebnis“ gehabt haben, dieses öffentlich kundtun und einer Taufe durch totales Untertauchen unterzogen werden – falls dies nicht schon vorher im Leben geschah oder die betroffene Person eine zweite Taufe will. Ein Wiedergeburtserlebnis im Sinne des evangelikalen reborn-Christentums bezeichnet ein Erlebnis, das den Menschen Jesus als seinen Retter erkennen lässt und zieht einen radikalen Lebenswandel nach sich. Ein Beispiel für ein Wiedergeburtserlebnis wäre ein Drogenabhängiger, der durch ein Ereignis – z.B. einen Traum über Jesus oder der Drogentod eines Freundes, was als Warnung Gottes verstanden wird – zur Kirche kommt und sich dann taufen lässt. Er beginnt ein neues Leben, indem er den Drogen abschwört und versucht, ein vorbildliches Christenleben zu führen.
Im Sinne von Paulus versteht sich die CBC als Körper, in dem verschiedene Mitglieder verschiedene Funktionen übernehmen sollen. Dr. Sadler sieht seine Kirche durchaus in Konkurrenz zu anderen Kirchen. Die höchsten Zuwachsraten in Kirchen werden heute durch Kirchenwechsel verzeichnet. Im Gegensatz zu den Mega-Kirchen, welche ihren Mitgliedern verschiedene Aktivitäten bis hin zu Fitness-Centern anbieten, bietet die CBC den Dienst am Menschen an. Es soll also nicht wie in eine Mega-Kirche den Mitgliedern gedient werden, sondern die Mitglieder sollen anderen Menschen dienen. Für viele junge Leute ist dieses Konzept weniger attraktiv.
Dr. Rick Sadler ist der Pastor der Calvary Baptist Church und der Präsident der Organisationen Mission Link International und Feeding Link for Kids. Er wuchs in Charlottesville christlich auf und hat bereits mit 11 Jahren Jesus als seinen Retter akzeptiert, d.h. er nahm den christlichen Glauben bewusst an und ließ sich taufen. Bis zum Abschluss der High School führte Dr. Sadler ein vorbildliches Leben und war hingebungsvoller Christ, dann ging er zur Marine. In der Zeit bei der Marine kam er vom christlichen Glauben ab, spürte jedoch mit Mitte 20, dass er Leuten helfen müsse. In diesem Zeitraum muss er sein persönliches Wiedergeburtserlebnis gehabt haben, bei welchem er nach einer durchzechten Nacht betrunken nach Hause kam und in seinem Zimmer Licht (Gott) und Dunkelheit (Satan) sah. Er entschied sich für Gott und schwor dem Alkohol ab. So begann er aus einer Motivation heraus, die er selbst „God’s calling“ nennt, über „Ministries“ (geistlichen Ämtern)mit alten Menschen zu arbeiten – wahrscheinlich Besuche bei alten Leuten ähnlich denen, die Mitglieder seiner Gemeinde durchführen. Er involvierte immer mehr Freiwillige und zog sich schließlich von dieser Tätigkeit zurück. Er besuchte die Columbia University, in der er als „Associate Pastor“ arbeitete und seinen Abschluss als Theologe machte. Am South Eastern Theological Seminary machte er seinen Doktor und arbeitete danach in verschiedenen Bundesstaaten und Gemeinden als Pastor. 1998 startete die Organisation Mission Link International in Lynchburg, wobei er Kontakt zur Liberty University hatte. Im Jahre 2000 kam er zur Calvary Baptist Church, die ihn trotz seiner Forderungen, weiterhin Präsident von Mission Link International und damit drei Monate im Jahr auf Missionsreise zu sein, als Pastor wollte.
Den Bibelvers [Gallatians 2:20] proklamiert Dr. Sadler als Motto für sein Leben: „I have been crucified with Christ; and it is no longer I who live, but Christ lives in me; and the life which I no live in the flesh I live by faith in the Son of God, who loved me and gave himself for me.”
4. Glaubensprofil der Calvary Baptist Church
Das Motto der Calvary Baptist Church lautet „To Know Him and to Make Him Known“. Der missionarische Ansatz ist also sehr zentral und erstreckt sich über das Missionieren von Leuten im näheren Umfeld der Gemeindemitglieder bis hin zum Engagement von Gemeindemitgliedern in Uganda über Mission Link International.
Da die Calvary Baptist Church sich zur Southern Baptist Convention zählt, stimmt sie auch der „Baptist Faith and Message 2000“[2] zu. Die „Baptist Faith and Message 2000“ spricht sich gegen Abtreibung, Homosexualität und Pornografie aus (vgl. Kap. XV: The Christian and the Social Order). Die Calvary Baptist Church würde homosexuelle Menschen als Besucher im Gottesdienst empfangen, wollten Homosexuelle jedoch Mitglied der Kirche werden, müsste sie Homosexualität aus ihrem Leben verbannen. Homosexualität wird von der Gemeinde als „lifestyle“ bezeichnet, also als bewusste Entscheidung, die man auch widerrufen kann.
Das Frauenbild der „Baptist Faith and Message 2000“ sieht vor, dass Frauen sich dem Mann unterordnen und der Mann das Haupt der Familie ist (vgl. Kap. XVIII: The Family). Auch dürfen Frauen keine Pastorinnen werden (vgl. Kap. VI: The Church). In der Calvary Baptist Church dürfen Frauen nicht einmal Deacons sein und auch nicht Sonntagsschullehrerinnen, wenn sie Männer unterrichten. Frauen haben eine untergeordnete Rolle – was auch ich spüren musste – und sollen im Idealfall Hausfrauen sein. Scheidungen sind den meisten Mitgliedern der Calvary Baptist Church ein Übel, ebenso wie heterosexuelle Paare, die unverheiratet zusammenleben, da das laut Bibel verboten ist. Auch eine Heirat zwischen einem Christen und einem Andersgläubigen oder gar Atheisten heißt die Gemeinde nicht gut. Dr. Sadler z.B. hat sich während seiner Pastorentätigkeit in einer anderen Gemeinde geweigert, eine Christin und einen Atheisten zu vermählen.
In der „Baptist Faith and Message 2000“ wird das Missionieren als zentral für das baptistische Christentum betrachtet (vgl. Kap. XI: Evangelism and Missions). Dies entspricht dem Motto der Calvary Baptist Church, welche sich sehr auf das Missionieren konzentriert. Die Bibel wird als das Wort Gottes gesehen (vgl. Kap. I: The Scripture), was sie zur unfehlbaren Wahrheit macht.
Ein Wiedergeburtserlebnis ist laut der „Baptist Faith and Message 2000“ zentral, um Erlösung zu erfahren (vgl. Kap. IV: Salvation). Interessanterweise ist die Taufe für die Erlösung keine Voraussetzung und obwohl Baptisten gemeinhin für die Erwachsenentaufe stehen, steht unter Kap. VII: „Baptism and the Lord’s Supper“ nichts von der Erwachsenentaufe. Dennoch werden bei den Baptisten keine Kinder getauft und die Taufe ist sowohl Voraussetzung zur Mitgliedschaft in der Gemeinde als auch für den Zugang zum Abendmahl.
Es ist ganz klar für diese Gemeinde, dass es keine Grauzonen gibt. Dr. Sadler sagte mir im Interview „either you are for the Lord or against Him“. Die Gemeinde zeichnet sich durch ein starkes Schwarz-Weiß-Denken aus. Es gibt entweder “the devil or the Lord”. Der Bibel zu gehorchen, ist das oberste Gebot. Wer sie nicht befolgt, ist ein Sünder und wer nicht wiedergeboren wurde, d.h. Jesus als seinen Retter angenommen hat, landet in der Hölle. Dr. Sadlers Vision für eine Idealgesellschaft wäre eine Gesellschaft, in der jeder ein Christ im Wiedergeburtssinne ist. Seiner Meinung nach leben wir in der Endzeit. Ihm ist klar, dass das jede Generation von sich denkt – denn Gott wolle dadurch ein Gefühl der Dringlichkeit unter Christen erzeugen – doch die Gründung des Staates Israel sei ein starkes Zeichen für den Anbruch der Endzeit. Nun müsse nur noch der Tempel in Jerusalem wiederaufgebaut werden, wobei sich Sadler vorstellen könnte, dass die Al-Aska-Moschee auf dem Tempelberg durch eine Atombombe vom Iran oder durch ein Erdbeben zerstört werden könne. Dieser Kommentar deutet darauf hin, dass Dr. Sadler die Nachrichten der Welt auf eine mögliche Bibelkorrespondenz oder Erfüllung der Endzeitprophezeiungen hin aufnimmt. Für ihn sollen Politik und Christentum allerdings nicht in Form von Lobbyarbeit verknüpft sein.
Es sei enorm wichtig, dass jeder Mensch Jesus als seinen Retter empfängt: „not the country needs to be changed, but the people“. Die Menschen würden dann ohnehin im christlichen Sinne wählen gehen. Dr. Sadler benennt dazu eine Bibelstelle, in der es heißt, Gott würde das Land heilen, wenn die Leute glauben [2 Chronicles 7:14].
Trotz des klaren Denkens in festen Regeln gibt es dennoch kontroverse Themen in der Gemeinde. Eines davon ist die Frage, ob geschiedene Menschen Deacons werden können, denn in der Bibel steht, dass der Deacon verheiratet sein muss mit einer Frau. Auf höhere Ebene in der Southern Baptist Convention gibt es ebenfalls Kontroversen, die sich um das Verbot des Pastorenamts für Frauen und die Frauenrolle im Allgemeinen ranken. Noch ein kontroverser Punkt in der Southern Baptist Convention scheint die Unfehlbarkeit der Bibel zu sein. Diese Kontroversen auf höherer Ebene wirken sich jedoch nicht auf die Kontroversen in der konservativen Calvary Baptist Church aus.
5. Der Kirchenraum und Gebäude
Das Kirchengebäude wurde in den 1970er Jahren fertiggestellt und im Jahr 1980 von der Gemeinde bezogen. Die Räumlichkeiten der Kirche beinhalten neben dem „Sanctuary“ Büroräume für Dr. Sadler, seine Sekretärin und ein Büro für Mission Link International. Außerdem gibt es ca. 15 Räume für die „Sunday Schools“. Unter der Kirche, welche auf einem Hügel steht, befindet sich ein Versammlungsraum mit Kirche, einige der Sunday-School-Räume und eine Sporthalle mit Basketballkörben. Interessant an dieser Sporthalle – neben der Tatsache, dass eine Kirche eine Sporthalle hat – ist, dass sie durch ein großes Fenster in Kreuzform belichtet wird. Die Sporthalle dient u.a. gemeinsamen Dinners. Jeden Freitag spielt Dr. Sadler dort auch Basketball mit den Jugendlichen. Da es im weiteren Umkreis keine Basketballkörbe gibt, hat die Kirche diese Halle errichtet, um Jugendliche aus der Umgebung anzuziehen. Mehrmals im Jahr gibt es Basketball-Competitions, in denen mehrere Teams gegeneinander antreten. Die Halbzeitpausen werden dabei genutzt, um dem Publikum zu „witnessen“. Das bedeutet, öffentlich Zeugnis abzulegen vom Wirken Gottes im Leben des Einzelnen. Es ist eine der zentralen Techniken beim Missionieren.
Der Gottesdienstraum selbst ist eher schlicht gehalten. Auf dem durch Stufen heraufgesetzten Altar befindet sich ein großes Holzkreuz. Anlässlich Ostern war der Altar mit weißen Lilien geschmückt. Hinter dem Kreuz befindet sich das Taufbecken. Es ist eher versteckt und die Besucher des Taufrituals sehen jeweils nur einen kleinen Ausschnitt der Taufe durch ein Glasfenster. Rechts neben dem Pastorenpult auf dem Altar steht die Christian Flag und links daneben die US-amerikanische Flagge. Die Kirche hat normale Glasfenster, weiße Wände und auf dem blauen Teppich stehen ca. 15 Kirchenbankreihen.
Die Calvary Baptist Church hat allein 15 „Sunday Schools“. Die Gruppen teilen sich vor allem nach dem Alter auf. So gibt es eine Krabbelgruppe, eine Gruppe der Kinder von 2-3 Jahren, der Kinder von 4-5 Jahren, der Erst- und Zweitklässler, der Dritt- bis Fünftklässler, der Sechstklässler, die Junior-High-Gruppe, die High-School-Gruppe, eine reine Männergruppe, eine reine Frauengruppe („Ladies’ class“), eine Gruppe für Paare mit Kindern im Alter von bis zu 12 Jahren und mehrere gemischte Erwachsenengruppen. In der Sunday School geht es darum, das Bibelwissen zu vertiefen und christliche Moral und Weltansicht zu vermitteln. Aus der Durchsicht der Teilnehmerlisten konnte ich erkennen, dass viele Sunday Schools sehr wenige Besucher hatten. Teilweise war nur ein Besucher da. Die Klasse mit der höchsten Besucherzahl war eine der gemischten Erwachsenengruppen mit 25 Besuchern. Insgesamt waren 109 Menschen am Sonntag, den 9.04.2006, in der Sunday School. Es gibt auch viele Menschen, die die Sunday School nicht besuchen und gleich zum Gottesdienst gehen. Die Lehrer der Sunday Schools sind meist Kirchenmitglieder, die diese Arbeit freiwillig leisten.
Ich besuchte die „Ladies’ Class“, in welcher Candy Sadler, die Ehefrau von Dr. Sadler, Sunday School-Lehrerin ist. Neben uns beiden nahmen noch sieben andere Frauen im Alter von 35 bis 65 Jahre teil. Die Sunday School begann zunächst mit sogenannten „Prayer Requests“: die Frauen nannten Candy jeweils ihre persönlichen Gebetswünsche. Dabei ging es um Themen wie Gesundheit und Arbeit. Auch sollte für eine Familie, die der Kirche angehört und deren Sohn momentan im Gefängnis sitzt, gebetet werden. Candy notierte sich die Wünsche und führte dann ein gemeinsames Gebet an, in dem sie alle diese Gebetswünsche abarbeitet. Nach dem langen Gebet fingen wir mit der Sitzung an, welche durch eine kurze Rekapitulation der letzten Sitzung eingeleitet wurde. Schließlich widmeten wir uns dem Kapitel 5 des Sunday-School-Übungsbuches „God’s Love“ aus der „Women of Faith Study Guide Series“. Der Titel des Kapitels lautet „Responding“ und die Teilnehmerinnen der Sitzung hatten Lückentexte und Fragen zu bestimmten Bibelstellen bereits zu Hause vorbereitet. Kernaussage dieser Sitzung waren: „If you love God, you obey Him.“, „The more you have been forgiven, the more the love of God.“, und dass man ein christlich-vorbildliches Leben führen solle, also nicht die Mainstream-Kultur konsumieren soll. Zentrale Bibelstellen für die Sitzung waren [Titus 2:7], [Titus 2:1], [1 Johannes 4:11], [Lukas 7:40-47] und [2 Korinther 3:17-18]. In der Sitzung kam auch die Frage auf, wie man anderen Gott näher bringen soll. Ein von Candy genanntes Mittel dazu war, neben einer vorbildlichen Lebensführung, Zeugnis abzulegen von seinem eigenen Glaubenerlebnis („witnessing“). Eine der Frauen sagte, dass sie damit ein Problem habe. Schließlich führe sie schon immer ein christliches Leben und habe daher kein Wiedergeburtserlebnis mit drastischem Lebenswandel vorzuweisen. Candy sagte ihr, sie solle dann einfach erzählen, was Gott in ihrem Leben bewirkt. Die Sitzung wurde mit einem Dankesgebet beendet
In der Calvary Baptist Church durfte ich am Palmsonntag, den 09.04.2006, und am Mittwoch, den 12.4.06, am Gottesdienst teilnehmen. Der Gottesdienst am Palmsonntag wurde durch das Lesen von [Matthäus 21] eingeleitet, dann erfolgte ein gemeinsames Gebet. Sowohl bei den Gebeten als auch beim Singen stehen die Gottesdienstteilnehmer. Nach dem Gebet wurden organisatorische Dinge angesprochen und die Gäste willkommen geheißen. Gäste müssen die Hand heben und erhalten ein spezielles Begrüßungspaket, welches u.a. Informationen über die Glaubensgrundlagen der Calvary Baptist Church enthält, ebenso wie ein vom Gast auszufüllendes Adressenformular, das er in den Kollektenkorb werfen soll. Dann standen alle Personen in der Kirche auf und schüttelten den Leuten in ihrem Umkreis die Hände zur Begrüßung. Während des Gottesdienstes wurden viele Lieder aus dem „Baptist Hymnal“, einem Gesangsbuch, das sich neben der Bibel in den Kirchenbänken findet, gesungen. Dr. Sadler predigte während des Gottesdienstes über die Unfehlbarkeit der Bibel. Die Bibel sei exakt Gottes Wort und müsse auch befolgt werden. Als passende Bibelstellen dazu gibt er [Nehemia 8] an, in der Ezra vor einem ehrfürchtigen Publikum aus der Schrift liest. Sadler ist begeistert von den darin beschriebenen Reaktionen auf die Bibel und wünscht sich auch von seiner Gemeinde und allen anderen mehr Begeisterung für die Bibel. Man solle aber Thesen wie jener, dass Jesus über Eis anstatt über Wasser gelaufen sein, keinen Glauben schenken. Das gerade veröffentlichte Judas-Evangelium gehöre nicht zur Bibel und ist daher für den Glauben unwesentlich. Nur die Bibel zähle und der Teufel versuche sie nach seinem Denken zu interpretieren und zu manipulieren, indem er nur Teile aus ihr herauspickt oder neue hinzufügen will. In diesem Sinne solle man sich auch von Mormonen fernhalten, weil sie ihr „Book of Mormon“ höher schätzen als die Bibel. Die Bibel solle studiert, jedoch nicht verehrt werden und ist im Zentrum des christlichen Glaubens. Nach der Predigt fordert Sadler die Gemeinde auf, ein „Sinner’s Prayer“zu beten. Leute können nach vorne kommen, um sich segnen zu lassen. Ein neues Kirchenmitglied wird nach vorne geholt und Sadler stellt ihn kurz vor. Die Gemeinde singt ein Lied, mit dem sie den Neuen begrüßt, welcher vor Rührung weint. Er ist älter als 60 Jahre. Vor etwa 6 Wochen erlitt er einen Herzanfall, seit dem hat er zu Jesus Christus zurückgefunden und sich noch einmal taufen lassen. Dieser Fall stellt ein typisches Wiedergeburtserlebnis dar. Bei einer solchen Wiedergeburt ändert der Mensch sein ganzes Leben. Für die Menschen der Calvary Baptist Church gehört zu einem solchen Wiedergeburtserlebnis auch das „Sinner’s Prayer“, in dem man seine sündige Existenz vor Gott bekennt.
Die Besucher des Gottesdienstes waren im Schnitt mindestens 50 Jahre alt, mindestens 95% der Besucher waren weiß. Wenn der Pastor etwas sagte, dem die Leute zustimmten, drückten sie das durch verhaltene Sagen von „Yes“ oder „Hallejulia“ aus. Der Gottesdienst war eher „steif“, es liefen auch keine Kinder herum, da kaum welche da waren. Der Gottesdienst am Mittwoch war deutlich weniger besucht als der am Sonntag; es handelte sich hier um den Mitglieder-Kern der Gemeinde. Die Struktur des Gottesdienstes war etwas anders als die am Sonntag. Zunächst wurde von Dr. Sadler auf Organisatorisches hingewiesen, dann gab es gemeinsamen Gesang, wobei die Liederwünsche der Anwesenden berücksichtigt wurden. Nun wurde nach „Prayer Requests“ gefragt und die Gemeindemitglieder riefen ihre Gebetswünsche dem Pastor zu, welcher diese später bei privaten Gebeten berücksichtigen würde. Viele Wünsche hatten mit gesundheitlichen Themen zu tun. Anschließend musste ich als Besucherin eine kleine Power-Point-Präsentation über mich, Berlin und die FU vorführen, wobei sich die Gemeindemitglieder besonders für die andere Religionsmentalität in Deutschland interessierten. Anschließend folgte eine Gebetszeit, die durch ein kurzes Gebet eines Gemeindemitgliedes eingeleitet wurde. Nach dem er fertig war, verharrten alle in ihrer Gebetsposition und warteten. Bald schon meldete sich spontan das nächste Gemeindemitglied und betete laut. Nachdem sie fertig war, kam der Nächste. Während dieser Gebetsrunde, die etwa 20 Minuten dauerte, betete auch ein Gemeindemitglied laut dafür, dass ich ein Wiedergeburtserlebnis haben solle und Jesus annehmen solle, damit ich in Deutschland missionieren und etwas an der Religionsmentalität und der Gottesdienstausübung ändern könne. Nach der Gebetsrunde war der Gottesdienst beendet.
8. Schwerpunkt Mission und Ministries
Die Calvary Baptist Church hat mehrer „Ministries“. Unter „Ministries“ sind Dienste im Namen Gottes an Menschen zu verstehen. Sie sind Ausdruck der Mission, das Christentum zu verbreiten, zu der Jesus seine Jünger laut biblischer Quelle aufrief [Matthäus 28:19]. Dr. Sadler sagt ganz deutlich, dass der Missionierungen bzw. den Ministries keine rein humanistischen Motivationen zu Grunde liegen, sondern dass es lediglich darum gehe, zu evangelisieren, d.h. mit jeder Hilfe geht die Überbringung der christlichen Botschaft einher. Eine Ministry ist z.B. die sogenannte „Van Ministry“. Dabei werden Kinder aus unterprivilegierten Familien sonntags zur Kirche gefahren und auch wieder zurückgebracht, während die Eltern meist daheim bleiben.
Die organisierten Basketballspiele in der kircheneigenen Halle werden auch als Ministries betrachtet, da es der Verbreitung der christlichen Botschaft dient, wenn in den Halbzeiten Menschen öffentlich Zeugnis von ihrer Gotteserfahrung ablegen. Neben den Basketballspielen sollen junge Leute und Kinder auch durch „Youth Ministries“ für Gott gewonnen werden, z.B. die jährlichen Kanureisen, die an einer Woche im Sommer stattfinden und an der 125 Kinder aus der Nachbarschaft teilnehmen, auch Kinder, die nicht unmittelbar zur Gemeinde gehören.
Weiterhin gibt es mehrer Ministries in Altenheimen. Direkt nach dem Gottesdienst gibt es jeden Monat im Altersheim „Morningside“ eine Ministry, bei der Kirchenmitglieder mit den Altenheimbewohnern singen und ein Kirchenmitglied eine Laienpredigt gibt. Am Ende der Predigt führt auch der Laienprediger das Gebet an. Der Laienprediger am Palmsonntag wiederholte sehr ungestüm und durcheinander die Quintessenz des eben gehörten Gottesdienstes von der Unfehlbarkeit der Bibel mit Betonung der nahende Endzeit bzw. Hölle. Am Ende der Predigt betete er ein „Sinner’s Prayer“ vor und forderte dazu auf, ihm nachzusprechen. Es waren etwa 10 alte Menschen anwesend, einer davon schlief während des Ministry ein.
Ebenfalls einmal im Monat findet dienstags eine Ministry in einem anderen Altenheim statt. Mehrer Mitglieder der Gemeinde singen dort bekannte christliche Lieder mit den Alten. Es waren etwa 30 Alte in dem Gemeinschaftsraum versammelt und es wurde etwa eine Stunde gesungen. Viele Alte sangen die Lieder aus dem Kopf mit, andere klatschten oder bewegten ihren Körper mit der Musik. Gegen Ende erhielten die Alten einen Keks und ein Getränk und es wurden Oster-Überraschungstüten ausgeteilt, in welchen sich ein Trinkpäckchen und Süßigkeiten befanden.
Mission Link International gehört nicht zur Calvary Baptist Church. Als Dr. Sadler im Jahr 2000 zum Pastor der Calvary Baptist Church gewählt wurde, hatte er Mission Link International bereits gegründet, das war im Jahr 1998, und stand der Organisation vor. Als Voraussetzung zur Annahme des Pastorenamts nannte er die Bedingung, Mission Link International weiterführen und drei Monate im Jahr selbst auf Missionsreise gehen zu können. Deshalb wurde hinter der Kirche u.a. ein Lagerhaus für Mission Link International gebaut. Büroräume für die Organisation befinden sich in der Kirche.
Mission Link International könnte man als Ein-Mann-Unternehmen bezeichnen, denn Dr. Sadler leitet und verwaltet das Ganze fast alleine. Glassell Williamson, die an drei Tagen der Woche als Sekretärin der Kirche arbeitet, arbeitet an zwei Tagen in der Woche ehrenamtlich für Mission Link International. Das „Board of Directors“ besteht zum Großteil aus Mitgliedern der First Baptist Church Charlottesville, in welcher Dr. Sadlers Bruder aktiv ist. Finanzielle Unterstützung für Projekte erhält Sadler aus ganz Amerika. Vor kurzem erst ging sogar ein Scheck von einer Gemeinde aus Brasilien ein. Die Gemeindemitglieder engagieren sich jedoch auch für Mission Link International. Einige von ihnen kommen mit auf die Missionsreisen nach Uganda und übernehmen wichtige Aufgaben. Glassell war z.B. auch schon mal mit und hat Brillen an Menschen verteilt. Jede Hilfe geht dabei jedoch immer mit der christlichen Glaubensbotschaft einher.
Vor der Gründung von Mission Link International fiel Dr. Sadler, der sich zu diesem Zeitpunkt in Lynchburg aufhielt, auf, dass viele der ausländischen Studenten der Liberty University gerne in ihrer Heimat missionieren wollten, jedoch kein Geld zur Verfügung hatten. Um dem Abhilfe zu verschaffen, hilft Mission Link International Menschen in anderen Ländern beim Aufbau von baptistischen Gemeinden. Es sollen also keine Amerikaner in andere Länder zur Missionierung entsandt werden, sondern es sollen z.B. in Nepal Nepalesen missionieren. Mission Link International gibt auf ihrer Internetseite Missionarskontakte nach Nepal, Nigeria, Lesotho, Uganda, Tansania und Kenia an. Es soll insbesondere in Ländern missioniert werden, welche bisher nicht viel Missionierungen erlebt haben oder in denen Missionieren verboten ist. Dabei werden nun keine Missionierungsorganisationen unterstützt, sondern einzelne Missionare. Ein wichtiger Grund für das Umschwenken zu landeseigenen Missionaren, neben dem Beherrschen der Landessprache und der Kenntnis der Kultur ist, dass sie wesentlich preiswerter sind als aus den USA entsandte Missionare. Unterstützung erfolgt in Form von Hilfe beim Aufbau von Kirchen und Kliniken, Versorgung mit Schulungen und Material, Katastrophenhilfe, sowie finanziellen und Gebetszuwendungen. Jegliche Unterstützung ist jedoch immer an Evangelisierungstaktiken geknüpft und hat keine humanistische Grundlage. Das entspricht der Mentalität, die die Calvary Baptist Church bei ihren Ministries zugrunde legt. Ab und zu fliegen auch Mitglieder von Dr. Sadlers Gemeinde mit auf Missionsreise.
Zu Mission Link International gehört ebenfalls Feeding Link For Kids, wobei auch hier Dr. Sadler Vorsitzender ist. Ziel dieser Organisation ist es, schlecht ernährte Kinder v.a. in der Dritten Welt mit Nahrung zu versorgen. Feeding Link For Kids arbeitet eng mit der von Richard Proudfit gegründeten Organisation Kids Against Hunger zusammen. Die jüngste Aktion von Feeding Link For Kids ist der Versuch, 1.000.000 Mahlzeiten zu 23 Cent pro Stück für Afrika zu organisieren. Dabei hilft ein afrikanisches Restaurant in Charlottesville.
10. Meine persönliche Erfahrung
Als ich an der Calvary Baptist Church eintraf, war alles wohl organisiert und ich wurde freundlich behandelt. Der Pastor jedoch hat sich für mich kaum bis gar keine Zeit genommen. Ich sehe den Grund darin, dass ich eine Frau bin. Mir ist während des Aufenthalts dort klar geworden, dass Frauen in dieser Kirche eine untergeordnete Rolle haben. Sie haben nichts zu sagen und sie sollen auch nichts sagen. Sie sollen auch nicht fragen. Als ich Dr. Sadler dann doch noch eher zufällig am letzten Abend zu einem Interview überreden konnte, unterbrach er dieses öfters, um mit seinen Bekannten aus der Kirche small talk zu betreiben. Einmal ließ er mich eine geschlagene Viertelstunde sitzen. Auch fiel mir auf, dass er Professor Wenzel mehr Informationen und Aufmerksamkeit in den wenigen Minuten, die er ihn wegen meiner Abholung auf dem Parkplatz traf, gab, als mir in der ganzen Zeit – das Interview ausgenommen.
Neben dem Stigma des Frauseins hatte ich noch ein anderes: ich war keine wiedergeborene Christin. Ich habe mich der Gemeinde als Baptistin präsentiert, da ich in der Baptistengemeinde Berlin Steglitz aufgewachsen bin. Das reichte aber anscheinend nicht aus, um als vollwertiger Mensch betrachtet zu werden und um nicht in die Hölle zu kommen. Während des Interviews mit Dr. Sadler fragte er mich, ob ich denn nicht in den Himmel kommen wolle. Des Öfteren haben mich Leute aus der Kirche auch mit zum Essen eingeladen, wobei ich auch immer mit Frauen mitgeschickt wurde, nicht mit Männern. Bei jedem Tischgebet wurde ohne Ausnahme (!) dafür gebetet, dass ich erleuchtet werde und Jesus annehme, sprich, dass ich wiedergeboren werde. Ich empfand es als Belästigung und ich merkte eine höfliche, aber tiefe Distanz, die die Leute zu mir aufrechterhielten. Ich war kein Mensch für sie, sondern ein Missionsobjekt. Keiner hat nach meinen Interessen gefragt oder wer ich bin und was ich tue. Das einzige Thema, bei dem die Leute vielleicht noch meine Meinung oder eher Zustimmung erwarteten, war der christliche Lebensstil. So merkte ich, ohne dass mir das direkt gesagt wurde, dass die Kirchenleute es unmöglich fanden, dass ich mit 24 Jahren nicht verheiratet bin und mit meinem Freund zusammenwohne, denn das sei eindeutig unbiblisch.
Alles in Allem fühlte ich mich dort sehr unwohl, jede Offenheit war die Offenheit, die diese Gemeinde eben einer nicht wiedergeborenen Frau entgegenbringt. Ich war froh, als ich von dieser Gemeinde wegkam und mir nicht mehr anhören musste, dass ich in die Hölle kommen werde und dass man sich schon auf die E-Mail von mir freue, in der ich schreibe, dass ich endlich auf dem richtigen Weg des wiedergeborenen Christentums gekommen bin. Obwohl ich mich als Baptistin präsentiert habe, sollte ich in die Hölle wandern. Diese Gemeinde akzeptiert nur ihren Weg und jeder, der ihn nicht geht, ist sowieso verloren. Mein Fazit: totale Intoleranz und tief verinnerlichtes Schwarz-Weiß-Denken.
[1]Christian Century. „SBC conflict splits Virginia Baptists – moderates and conservatives of the
Southern Baptist Convention”, Nov 20, 1996. Online-Ressource
http://www.findarticles.com/p/articles/mi_m1058/is_n34_v113/ai_18940464
[2] Southern Baptist Convention. Baptist Faith and Message 2000. Online-Ressource