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Maple Grove Christian Church

Maple Grove Christian Church

 

Feldbericht von Iris Petzschmann

(Aufenthalt: 13.–17. April 2006)

 

INHALT:

  1. Gemeindeprofil: Organisation und Mitglieder
  2. Aktivitäten
  3. Glaubensinhalte und Gottesdienst

 

1. Gemeindeprofil: Organisation und Mitglieder

Die Maple Grove Christian Church (MGCC) existiert seit etwa hundert Jahren, zählt um die 700 Mitglieder und ist eine unabhängige, baptistische Gemeinde mit evangelikaler Ausrichtung. Die Gemeinde konstituiert sich nach biblischem Vorbild, d.h. sie wird durch Älteste geleitet und verwaltet. Wichtige Entscheidungen, etwa die Wahl der Ältesten und Diakone, die Einstellung von neuen Pfarrern, etc. wird auf Gemeindeversammlungen demokratisch entschieden. Einem Dachverband gehört die Kirche nicht an. In einem Gespräch lehnte Jeff Villio, einer der vier Pfarrer, eine mögliche „Abhängigkeit“ der Kirche in organisatorischer und theologischer Hinsicht strikt ab. Als Autorität wird nur Jesus Christus allein anerkannt, der das ideelle Oberhaupt der Gemeinde darstellt.

Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei über 40 Jahren und sie entstammen zumeist der unteren Mittelschicht. Die Gemeinde scheint mit ihren Aktivitäten auch viele Gläubige aus anderen Gemeinden anzuziehen. Ich habe jedenfalls während meines Aufenthalts sehr viele Menschen getroffen, die nur für bestimmte Bibelstunden in die Gemeinde kommen, offiziell aber zu einer anderen Kirche gehören und dort auch in der Regel den Gottesdienst besuchen. Vielleicht ist das ein Grund für das starke Wachstum der Gemeinde in den letzten zwei Jahren. In dieser Zeit sind viele neue „Sunday Classes“ und andere Ministries entstanden und demnächst soll ein fünfter Pfarrer angestellt werden. Ein weiterer Grund könnte in der musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes liegen. Eine der Frauen aus der „Bible Class“ erzählte mir, wie sehr sie die moderne Musik im „Contemporary Service“ genießt. Ihrer Meinung nach kämen viele Menschen extra wegen dieser besonderen Band in den Gottesdienst der MGCC.

Neben dem Rat der Ältesten (board of elders) gibt es in der Kirche vier Pfarrer (minister), die hauptberuflich bestimmte Aufgabengebiete in der Gemeinde innehaben. Für die theologische Ausrichtung der Kirche im Allgemeinen und die Sonntagspredigten im Besonderen ist Lindsay Ellis (senior pastor) zuständig, für die Bürokratie und die Verwaltung Jeff Villio (associate minister), für die älteren Mitglieder (über 50) und die Kranken Roger Browning (pastoral care minister) und für die Musik Randy Rodgers (director of music). Da leider niemand in der Gemeinde viel Zeit für mich hatte und Jeff Villio sich nicht um mich kümmern konnte, da seine Mutter im Sterben lag und er kurz nach meiner Ankunft abreisen musste, hatte ich nur sehr wenig Gelegenheit, mehr in Erfahrung zu bringen.

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2. Aktivitäten

Fundamentale Bedeutung kommt dem privaten Engagement der Mitglieder zu, die auf freiwilliger Basis viele Aufgaben in der Kirche übernehmen. Die Initiative zur Einrichtung neuer Ministries geht häufig von den Mitgliedern selbst aus. Die Gemeindeleitung unterstützt dieses Engagement mit dem Ziel, besondere Angebote für bestimmte Interessengruppen anzubieten, um damit die Bedürfnisse so vieler Menschen wie möglich zu erreichen. Man kann drei Arten von Ministries unterscheiden: Solche, die direkt die Organisation der Gemeinde betreffen – Kinderbetreuung, Bibliothek, Newsletter, Musik, etc. –, solche, in deren Zentrum das Bibelstudium und das Gebet stehen, und solche, die soziale und karitative Anliegen verfolgen.

Zwei sehr aktive Mitglieder in der Gemeinde sind Alison Morrisette und Natalie Kindrick. Natalie ist 45 Jahre und Native American. Ihr religiöser Hintergrund ist die katholische Kirche. Sie selbst war in der Army, ist aber schon lange ausgeschieden. In der Army hat sie auch ihren Mann kennen gelernt, der seit kurzem „retired“ ist und nun einen Bürojob hat, der ihm offensichtlich nicht besonders gefällt. Mit ihm hat Natalie sechs Kinder adoptiert, von denen die ältesten schon aus dem Haus sind und das jüngste noch nicht einmal ein Jahr alt ist. Obwohl sie erst vor zwei Jahren von Missouri nach Charlottesville gekommen sind, ist Natalie voll und ganz in der Kirche integriert und engagiert sich sehr stark dort, im Gegensatz zu ihrem Mann, der wohl überhaupt keine religiöse Ader hat. Wie einige andere Frauen, die ich in der MGCC getroffen habe, führt Natalie eine ausgesprochen unglückliche Ehe, würde sich aber nie von ihrem Mann trennen. Statt dessen betet sie für eine Besserung, bittet auch ihr vertraute Personen für sie zu beten und „flüchtet sich“ – so erscheint es mir – in ihre freiwillige Arbeit in der Kirche.

Natalie hat in den zwei Jahren, in denen sie in der Kirche ist, viel dort aufgebaut. Auf ihre Initiative hin wurde in den letzten zwei Jahren die Kinderbetreuung (Nursery) aufgebaut. Der gesamte linke Flügel des Kirchengebäudes ist für diesen Zweck eingerichtet, draußen gibt es einen kleinen Spielplatz. Die Kinder werden in verschiedene Altersklassen zusammengefasst und dann in kleinen Gruppen betreut.

Zusammen mit Ali hat sie das „Women helping Women-Ministry“ gegründet, das Frauen und ihre Kinder unterstützt, die in Armut leben. Gesammelt wird nicht nur Geld, sondern auch Sachspenden (Kleidung, Babyausstattung,…), die in der Kirche und in Natalies Garage gelagert werden. Wann immer Not am Mann ist, setzen sich die Frauen sofort ins Auto und versuchen zu helfen, indem sie diese Spenden verteilen. Der Aktionsradius dieses „Womens’ Outreach“ beschränkt sich nicht auf die eigene Gemeinde. Hilfe bekommt jeder, der sie benötigt und der nachfragt. Die  Bekanntmachung dieses „sozialen Dienstes“ erfolgt über informelle Kanäle, über Mund-zu-Mund-Propaganda.

Darüber hinaus initiieren Ali und Natalie besondere Gebetstreffen, wie z.B. den „Good Friday Day of Prayer“. Jeder mit einem besonderen Gebetsanliegen konnte ein „Payer-Request“ abgeben. Die gesammelten Gebetswünsche – es waren mehr als 600 eingegangen – wurden von Natalie und Ali und einigen wenigen freiwilligen Helfern „abgearbeitet“. Die Frauen zogen sich dazu in die „Prayer Chapel“ der Kirche zurück, eröffneten den Gebetstag mit einen gemeinsamen Gebet und widmeten sich dann jeder einzelnen Anfrage im stillen Gebet. Dabei baute sich eine besondere, kontemplative Stimmung auf, die ich als sehr intensiv und geradezu intim empfunden habe. Ali und Natalie konzentrierten sich voll und ganz auf das Gebet, versinken in ihrer Aufgabe und nehmen auch ganz automatisch die so typische, nach vorne gebeugte Gebetshaltung an. Während Ali barfuss betet und sich richtiggehend zusammenkrümmt, benutzt Natalie einen wunderschönen Rosenkranz mit türkisenen Steinen. Interessant fand ich auch, dass Gebetswünsche auch aufgrund von Befangenheit zurückgewiesen werden können. Nicht jeder Mensch kann oder muss jedes Gebet übernehmen. Natalie z.B. legte einen Gebetswunsch wieder zur Seite, der sie selbst und ihre Ehe betraf. Anscheinend hat jemand um ein Gebet für Natalie und ihren Mann gebeten. Das Gebet verläuft immer in drei Schritten: Danksagung, das eigentliche Gebetsanliegen, Bitte in Jesu Namen.

Dem Gebet kommt in den Augen der beiden Frauen eine ganz besondere Bedeutung zu: Es ist eines der „most powerful tools of our belief“. Sie sehen ihre Berufung darin, für andere zu beten und ihnen damit zu helfen. Im Gespräch mit Natalie spürt man, wie ernst ihr diese Aufgabe ist, wie viel Verantwortung für sie mit den Gebeten verbunden ist, aber auch wie viel Erfüllung und inneren Frieden diese Tätigkeit den Frauen gibt. Natalie glaubt übrigens nicht nur an die göttliche Wirksamkeit des Gebets, sondern schreibt diesem auch eine explizit therapeutische Wirkung zu. Allein das Aufschreiben des Gebetswunsches verschaffe den Menschen Erleichterung. Auch wenn die Gebete nicht laut gesprochen werden und die Vertraulichkeit der persönlichen Anliegen geschützt wird, bedeutet doch die Tatsache, dass andere mit den eigenen Gebetsanliegen beauftragt werden eine gewisse Öffentlichkeit des Gebets. Der Hilfesuchende kann einen Teil der Last abgeben und stärkt durch diese vertrauensvolle Handlung zugleich die persönliche Bindung zu den Betenden bzw. bei anonymen Anfragen zur Gemeinde oder einer ideellen Gruppe von gleich gesinnten Christen. Ich vermute, dass diese Art von Gebet, auch wenn es primär auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Mitglieder zugeschnitten ist, dennoch ganz wesentlich dazu beiträgt, die geradezu familiären Bande in der Gemeinde zu festigen.

Darüber hinaus findet jeden Donnerstag ein Gebetskreis („2006 Weekly Community Prayer“) statt, in dem das „Maple Grove Outreach Ministry“ für die Kirche im Allgemeinen, für die „verlorenen Seelen“ und für die Verbreitung der christlichen Botschaft betet. Dieses „Outreach Team“ geht auch zu bestimmten Terminen in der Nachbarschaft von Haus zu Haus und bietet den Menschen an, für sie und mit ihnen gemeinsam zu beten. Außerdem wird die Gemeinde zu besonderen Anlässen zu Gebeten für bestimmte Zwecke aufgefordert. Zur Vorbereitung auf Ostern beispielsweise zählte die Aktion „40 Days of Easter Challenge. Countdown to the Empty Tomb.“ Entsprechend der biblischen Zahl sollen die Gemeindemitglieder 40 Tage vor Ostern täglich für den Ostergottesdienst, Gottes Anwesenheit in der Gemeinde am Ostermorgen, die Rettung eines Familienmitgliedes und für die Kirche zur erfolgreichen Ausführung ihres göttlichen Auftrages beten.

Zentrale Bedeutung – neben dem Gebet – kommt dem Bibelstudium zu. An mehreren Tagen in der Woche, außer Freitag und Samstag, finden Bibelkurse in der Gemeinde statt, die auf bestimmte Gruppen – Kinder und Jugendliche, Männer und Frauen, Anfänger und Fortgeschrittene – zugeschnitten sind. Ich hatte den Eindruck, dass die Ministries in erster Linie den persönlichen Anliegen und Fragen der Menschen dienen und nicht so sehr, wie in der Thomas Road Baptist Church (TRBC) der Einübung der fundamentalen Glaubensansichten und rigorosen Moralvor-stellungen. Das „Women’s Ministry“ der MGCC z.B. will die weiblichen Gemeindemitglieder erbauen und ihnen christliche, auf der Bibel basierende Leitlinien für das tägliche Leben, also zu Hause, auf der Arbeit und in der Gemeinschaft, an die Hand geben. Eine der Klassen am Sonntag behandelt beispielsweise „Life Management for Busy Women“.

Die einzelnen Klassen sind in der Regel recht klein (bis zehn Personen). Am Donnerstag zum „Thirsty Thursday“ kamen etwa 20-30 Frauen (übrigens auch aus anderen Gemeinen) von Anfang 30 bis schätzungsweise 80 Jahre zusammen. Nachdem man sich in der Küche begrüßt und mit Kaffee und selbstgebackenem Kuchen gestärkt hatte, fand eine kleine, recht „meditative“ Andacht in der Kirche statt. Die Frauen gestalten diese Andacht nach ihren eignen Wünschen: Man singt gemeinsam mit Klavierbegleitung, kommt gemeinsam zur Ruhe und betet im Stillen oder bei leiser Musik. Danach ist gewöhnlich Zeit für einen kleinen Vortrag (z.B. über „To God be the Glory“) oder für Dinge, die jemand eventuell mit der ganzen Gruppe teilen möchte. Auch ich wurde gebeten, meine Erfahrungen mit der Gemeinde zu teilen. Die Damen waren alle sehr interessiert und haben viele Fragen gestellt, besonders zu meinem eigenen Glaubensauffassungen und wie wir in Europa „Religion leben“.

Im Anschluss trennen sich die Frauen in kleine Gruppen auf, in denen sie in der Regel gemeinsam die zu jeder Woche zu lesenden Bibelstellen besprechen, sich darüber austauschen, wie man dies auf das eigene Leben anwenden kann und ganz allgemein Erfahrungen austauschen. Diese Treffen haben nichts zwanghaftes, sondern orientieren sich an dem, was die Frauen beschäftigt und was sie in der Woche davor erlebt haben. Als ich da war, haben die vier Frauen beispielsweise spontan (in der Andacht ging es auch um das „Turmerlebnis“ von Luther) ihre Bekehrungserlebnisse miteinander geteilt. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass das eine „Extra-Vorstellung“ für mich war, sondern aus einem wirklichen Bedürfnis heraus entstanden ist und vielleicht auch deshalb, weil zwei der vier Frauen nicht dazu gekommen waren, die Texte zu lesen.

Auch in der zweiten Bibelklasse, die ich Ostersonntag im Anschluss an den Ostergottesdienst besucht habe, ging es vor allem um die Erlebnisse und Erfahrungen der anwesenden Frauen. Die Sitzung wurde damit eröffnet, dass jede Frau erzählt, wie es ihr in der Woche ergangen ist und dann eventuell darum bittet, in bestimmten Angelegenheiten für sie zu beten: Für eine anstehende Operation, für das nötige Durchhaltevermögen, eine Ehekrise zu überstehen, für einen Sohn, der im Gefängnis sitzt und für ein junges Mädchen, das gerade Mutter geworden ist, von ihrem Partner verlassen wurde und nun in großen finanziellen Schwierigkeiten ist. Dann wurde eine Bibelstelle besprochen und interpretiert, in der es um das Gebet und das „Gott-Dienen“ ging. Es wurde sehr deutlich, dass die Frauen in ihrer Beziehung zu Gott Trost und Hoffnung finden und dass ihnen ihr Glaube dabei hilft, die eigenen Schwächen und Fehler anzunehmen und mit schwierigen Situationen im Leben umzugehen. Sie vertrauen darauf, dass Gott sie auf ihren Wegen leitet und dass auch leidvolle Erfahrungen ihren Sinn haben. Bemerkenswert fand ich, dass betont wurde, dass erst die persönliche Beziehung zu Gott kommt, dann die Familie und an letzter Stelle die Kirche bzw. die eigene Gemeinde.

Neben den schon beschriebenen Aktivitäten unterhält die Kirche ein „Student Ministry“, das Kinder und junge Erwachsene in ihrer spirituellen und sozialen Entwicklung unterstützt. Wöchentliche Jugendtreffs, besondere Bibelklassen und Gottesdienste sowie Jungendreisen werden angeboten. Im Aufbau befindlich ist auch ein „Men’s Ministry“, das jeden Dienstag einen besonderen Bibelkurs anbietet. Ergänzt werden alle diese offiziellen Angebote durch private Treffen im kleinen Kreis, die von den Mitgliedern selbstständig organisiert werden. So treffen sich beispielsweise ca. acht kleine Männergruppen zum Heimbibelstudium und zu privaten Gesprächen. Diese Gruppen (meist nur aus vier Personen bestehend) treffen sich über Jahre hinweg und haben einen sehr privaten, vertraulichen und freundschaftlichen Charakter. Scheidet jemand aus, wird große Sorgfalt auf die Auswahl eines Nachfolgers verwendet. Aktiv ist die Kirche außerdem in der „Charlottesville Church Softball League (CCSL)“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, interdenominationale Kontakte durch das gesellige Beisammensein beim Sport zu pflegen und Gott auch auf diesem Weg Ehre zu erweisen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der Pfarrer bzw. die Pfarrer eine gewisse Führungsrolle besitzen, dass aber das Gemeindeleben nicht auf sie zugeschnitten ist. Sie sind nicht wirklich „role-models“, sondern haben eher den Status von „Brüdern mit besonderen Kompetenzen“. Das einzige wirkliche Vorbild ist Jesus Christus. Natalie beschreibt die Rolle des Pfarrers als eine Art System „of checks and balances“. Die Kirche könne man mit einem Schiff vergleichen, das nur mit Hilfe der Mannschaft fährt, das aber auch in schwere See geraten kann: So wie es dann einen guten Bootsführer braucht, so braucht auch die Kirche einen vertrauenswürdigen Führer, der die grundsätzliche Richtung bestimmt.

Die Aktivitäten werden zum allergrößten Teil von den Mitgliedern selbst und auf freiwilliger Basis getragen. Dies macht meines Erachtens auch einen großen Teil der Attraktivität dieser Kirche aus: Der Gläubige bekommt die Freiheit sich zu entwickeln, seine Bestimmung zu finden und selbst zu verwirklichen. Gleichzeitig pflegen die Mitglieder, gerade in den kleinen Gruppen, sehr enge persönliche Beziehungen. Die Gemeinde versteht sich in erster Linie als eine große Familie. Auch für mich war diese familiäre, zwanglose und offene Atmosphäre sehr gut spürbar. Die Kirche erscheint mir wie ein Zufluchtsort, der Geborgenheit und Schutz bietet, aber auch Orientierung, Selbstbestätigung und Gemeinschaft.

Ganz ähnlich beschreibt Natalie ihre Beziehung zur Kirche: Die Gemeinde sei wie eine große Familie, in der alle gleich und gleichberechtigt seien. Sie fühle sich akzeptiert und könne hier, anders als in der katholischen Kirche, eine direkte Beziehung zu Gott pflegen. Die Gemeinde ermögliche ihr die Freiheit, ihrer Berufung (Frauen und Kinder) zu folgen und sie zu verwirklichen. Sie habe die Möglichkeit, eigene Projekte auf die Beine zu stellen. In der MGCC könne man sich selbst verwirklichen: Sie habe die Freiheit „to be a free-thinker“.

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3. Glaubensinhalte und Gottesdienst

Die Gläubigen der MGCC teilen die typischen evangelikalen Glaubensinhalte, vertreten sie allerdings in nicht so radikaler Form, wie z.B. die TRBC. Die Kirche unterstützt zwar laut ihrer Homepage unter anderem auch weltweite Missions-programme und soziale Hilfsprojekte besonders in Entwicklungsländern. Anders als in der TRBC stehen die weltweite Mission und die Etablierung moralischer Werte in der Gesellschaft („religiöses Revival“) nicht im Vordergrund, sondern der Gläubige und seine Bedürfnisse. Auch wenn die Bibel als das geoffenbarte Wort Gottes gilt und Gott damit direkt zum Gläubigen spricht, steht sie nicht allein im Zentrum des Gemeindelebens. Die Bibel wird nicht strikt ausgelegt, sondern im Hinblick auf die individuelle Lebenssituation der Gläubigen interpretiert und eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus gepflegt. Nur durch den Glauben an Jesus Christus kann der Mensch gerettet werden. Als Hauptziele gibt die Gemeinde drei Dinge an:

  1.  „Giving Birth to Membership“: Die Maple Grove Christian Church besteht ausdrücklich deshalb, um die „Verlorenen“ zu suchen, zu retten (to seek and save the lost) und in die „church familiy“ zu integrieren. In ihrer Broschüre „Why I was created“ bekennt sich die Gemeine dazu, dass der Mensch, der Jesus Christus nicht nachfolgt, von Gott getrennt und damit zu „ewigem Tod“ (eternal death) verurteilt ist, und zeigt den Weg auf, diese Trennung zu überwinden. Neue Mitglieder sind sehr willkommen. Auf jeder Seite des Internetauftritts der Kirche werden Interessierte dazu eingeladen, diese zu kontaktieren. Die Gemeinde ist für jeden offen, der den ehrlichen Wunsch verspürt, Jesus nachzufolgen und der getauft ist oder getauft werden möchte. Auch sonst ist die Gemeinde relativ offen: Zum Abendmahl, in dem das Opfer Christi vergegenwärtigt wird und die Gläubigen an diesem Opfer teilhaben, zugelassen sind alle „repentent believers“, also nicht nur getaufte Mitglieder der Kirche. Wirklich jeder ist willkommen und wird freundlich aufgenommen.
  2. „Growing up to Maturity“: Die Gemeinde unterstützt alle Brüder und Schwestern darin (mit Bibel-Unterricht, Mentoring, und kleinen Gruppen) in ihrem Glauben zu wachsen und ihnen das „Werkzeug“ an die Hand zu geben, Christus nachzufolgen („a Christ-like maturity discipleship“).
  3. „Going out into ministry“: Von zentraler Bedeutung ist außerdem, dass die Gemeindemitglieder die nötige Unterstützung dabei erfahren, ihre persönliche Bestimmung zu finden und ihre besonderen Gaben aktiv in die Gemeinde einzubringen. Die Brüder und Schwestern werden dazu ermutigt, Aufgaben in der Kirche zu übernehmen und so Gott zu dienen.

Gott zu dienen, wird vor allem darauf bezogen, seine eigene Bestimmung zu finden und dann anderen auf einer persönlichen Ebene zu helfen. Die Gemeinde versteht sich als Familie, in der man Freunde und Rat für alle Bereiche des Lebens finden kann. Es geht vor allem darum, voneinander und miteinander zu lernen und im Glauben zu wachsen. Charakteristisch für die Gemeinde ist also ein sehr empfindliches Gleichgewicht zwischen Individuum und Gemeinschaft: Die Gemeinde ist der Raum, in dem der Einzelne sich selbst, seine Stärken und Fähigkeiten finden und entwickeln kann. Gleichzeitig wird diese Art der „Selbstfindung“ immer wieder an die Gemeinschaft rückgekoppelt: Indem die Entwicklung des Einzelnen in der Gemeinschaft und mit ihrer Unterstützung stattfindet und indem sie in das christliche Konzept der Demut und des „Dienst am anderen“ eingebaut wird. Es findet eine grundsätzliche „Umdeutung“ statt: Es sind nicht die eigenen Fähigkeiten, sondern Gottes Gaben, nicht die eigenen Wünsche und Ziele, sondern Gottes Bestimmung für das eigene Leben. Es geht nicht darum, sich selbst zu finden, sondern nach dem Vorbild von Jesus Christus zu leben. Das Leben ist nicht dem Zufall unterworfen, sondern wird von Gott gelenkt – zum Besten des Menschen, wenn der Gläubige innerhalb des umschriebenen Systems bleibt.

Besonders im Vergleich mit der TRBC geh es in der Maple Grove Church relativ still und bescheiden zu. Man wird hier keine kämpferischen Predigten gegen die säkulare Kultur und für ein religiöses Erwachen hören oder erleben, dass Feindbilder aufgebaut werden. Zwar schauen die Gläubigen auch mit Sorge auf die gesellschaftliche Situation, sie glauben auch daran, dass Menschen die nicht an Jesus Christus glauben in die Hölle kommen, aber niemand wird hier zu einer Entscheidung gedrängt. Die Bekehrungsbemühungen beinhalten vor allem stille Gebete, dass die betreffende Person Gott bald finden möge. Dazu gehören aber auch die beschriebenen Gebetsaktionen, bei denen für andere gebetet wird, die sozialen Hilfsaktionen („Women helping Women“) und das gute Beispiel, das man mit dem eigenen Lebensstil geben möchte. Erstaunt hat mich außerdem, mit welch großer Gewissheit die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, davon ausgehen, dass Gott früher oder später einen Weg in das Herz eines Menschen finden werde. Mir passierte es häufiger, dass die Menschen mir attestierten, sie würden fühlen, dass Gott schon etwas in mir bewirkt habe und dass ich zum Glauben finden würde.

Aus der Bibel abgeleitet ist die Notwendigkeit der Taufe nach biblischem Vorbild (also vollständiges Untertauchen als Symbol des Todes und der Wiederauferstehung). Es werden keine Kinder getauft, sondern nur Menschen, die sich der Bedeutung dieses Schrittes bewusst sind. Die Taufe wird als äußerliches Zeichen der innerlichen und bewussten Entscheidung für den Glauben an Christus („decision to accept Christ“) und als Zeichen des Gehorsams ihm gegenüber betrachtet („sign of obidience“). Um Mitglied zu werden, muss man sich taufen lassen. Das Taufbecken ist stets gefüllt. Auch mir wurde (scherzhaft) angeboten, dass ich mich gerne spontan während des Ostergottesdienstes taufen lassen könnte. Aber auch Nicht-Mitglieder werden, z.B. in den Bibelklassen, problemlos integriert.

Am Ostersonntag gab es drei Gottesdienste: Jeweils einen Traditionellen und einen Modernen wie an jedem Sonntag und zusätzlich noch einen weiteren modernen Gottesdienst. Zum Frühgottesdienst um 8 Uhr waren ca. 100 Personen eher höheren Alters (55+) anwesend. Zum „Contemporary Service“ um 9.30 Uhr war die ca. 300 Personen fassende Kirche voll besetzt. Während der traditionelle Gottesdienst durch den Chor begleitet wurde, trat im moderneren Gottesdienst eine Band auf (Durchschnittsalter Mitte 30), die dieselben Lieder, übrigens nicht die bekannten „evangelikalen Standartsongs“, in einer etwas rockigeren, peppigeren Version brachten. Das Publikum war dementsprechend etwas jünger im Durchschnitt und bestand zum größten Teil aus Familien mit jungen Kindern und Jugendlichen (Teenagern).

Nach einem ersten Musikstück wurde der Gottesdienst mit der Aufforderung zum persönlichen, stillen Gebet eröffnet. Dazu wurde das Licht gedimmt und die Gläubigen aufgefordert, ganz so zu beten, wie sie es am liebsten möchten, auch direkt im vorderen Bereich der Kirche, der durch Stufen markiert wird. Einzelne Besucher (zwei im ersten und vier bis fünf im zweiten) machten von diesem Angebot auch Gebrauch, kamen nach vorn und beteten dort auf Knien, teilweise sogar fast schon auf den Stufen liegend. Die Predigt behandelte die Osterbotschaft und die Gewissheit, die sie dem Gläubigen schenkt, nämlich dass auf die „Freitage“ im Leben immer der Sonntag folgt. Ein Christ könne nur siegen, weil er durch Christi Tod das ewige Leben besitze. Danach wurde wieder gemeinsam gesungen und das Abendmahl am Platz sitzend eingenommen. Beendet wurde der Gottesdienst abermals durch ein stilles Gebet.

Die MGCC ist eine wachsende Gemeinde, die sich ganz bewusst um ein vielfältiges Angebot, das den Bedürfnissen der Menschen entspricht, und um einen besonderen Gemeinschaftssinn bemüht, um Mitglieder zu gewinnen. Dabei tritt sie jedoch keinesfalls aggressiv oder drängend auf. Im Mittelpunkt stehen weniger eine bestimmte Theologie, strikte Bibelauslegung oder rigorose Moralvorstellungen, als vielmehr die persönliche Beziehung zu Jesus Christus als kleinstem gemeinsamen Nenner. Die Gemeinde folgt einerseits offensichtlich dem Trend zum modernen Gottesdienst (mit viel poppiger Musik, Powerpoint und Showelementen) – geplant ist übrigens, die Gottesdienste demnächst auch auf Video aufzuzeichnen. Andererseits kultiviert sie, besonders in den kleinen Gruppen, eine herzliche, offene Familienatmosphäre, die es ihr erlaubt, jeden Einzelnen direkt zu erreichen, einzubinden und zu fördern. Die vielfältigen Aktivitäten der Kirche, die zum allergrößten Teil durch das Engagement der Gläubigen getragen werden, bilden gewissermaßen das Gegenstück zur reinen „Unterhaltung“ der Gläubigen.

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